Verschlafen drücken wir den Wecker zum wiederholten Mal in den Schlummermodus … so oft, bis wir mit Erschrecken feststellen, dass es schon wieder superspät ist. Jetzt aber schnell! Raus aus dem Bett mit zerwühltem Haar und verquollenen Augen, rein ins Bad und ruck, zuck fertigmachen. Wenn wir Glück haben, bleibt eventuell noch ein bisschen Zeit für ein kleines Frühstück im Stehen…
Wem dieser Start in den Tag irgendwie bekannt vorkommt, sollte dringend etwas ändern. Und das ist gar nicht schwer. Mit dem ayurvedischen Tagesablauf beginnt der Morgen ganz ohne Hektik, und die dazugehörigen Rituale bringen uns stressfrei durch den ganzen Tag. Denn Ayurveda ist weit mehr als nur ein Wellnessangebot in Form von Massagen und Kuren, so wie wir in Europa die alte indische Heilkunst meist wahrnehmen. Übersetzt heißt Ayurveda so viel wie „Wissen vom Leben“. Und immer geht es um die ganzheitliche Gesundheit des Menschen – sowohl physisch und mental als auch emotional und spirituell.
Dinacharya – der Tagesablauf nach Ayurveda
Der ayurvedische Tagesablauf soll dafür sorgen, dass das größtmögliche Potenzial aus dem Körper geholt und die Lebensqualität deutlich verbessert wird. Nicht umsonst gilt er als „die Wissenschaft vom langen Leben“ – die Lebensweise soll also nicht nur den Alltag bewusster gestalten, sondern auch das Leben verlängern. Mit einem gut strukturierten, regelmäßigen Tagesablauf kehrt innere Ruhe und Gelassenheit ein. Stress kommt gar nicht erst auf oder lässt sich sofort positiv als Antriebskraft nutzen. Zusätzlich wird so der gesamte Stoffwechsel gepusht. Die Schlüssel zu diesem entspannteren Alltag heißen Vata, Kapha und Pitta – und bezeichnen die unterschiedlichen Phasen des Tagesablaufs.
Die drei Doshas: Vata, Kapha, Pitta
Laut Ayurveda liegt der Ursprung von allem in den fünf Elementen Luft, Erde, Wasser, Feuer und Raum. Aus diesen bilden sich die Doshas Vata, Kapha und Pitta – und um die geht es. Sie sind der Grundstein für Dinacharya, den Tagesablauf nach Ayurveda. Vata bedeutet „sich bewegen“ und reguliert die Bewegungsabläufe des Körpers. Muskeln, Organe und Nervensystem werden aktiv. Vata-Phasen sind daher immer mit Veränderung verbunden. Kapha bedeutet „zusammenhalten“ und steht für die körperliche und geistige Stärke. In Kapha-Phasen stabilisiert sich das Immunsystem. Pitta heißt „erwärmen“ und ist verantwortlich für den Stoffwechsel und die Verdauung. Während der Pitta-Phasen finden deshalb vermehrt Umwandlungsprozesse im Körper statt.
Und so geht’s:
Der Tag ist in die drei Zeitperioden Vata, Kapha und Pitta unterteilt, die sich alle vier Stunden abwechseln – also zweimal täglich wiederkehren. Diese Zeitphasen bilden die Grundlage für eine gesunde und bewusste Lebensweise nach Ayurveda. Dr. Wathsala aus Sri Lanka richtet sich seit 15 Jahren nach der ayurvedischen Lebensweise und hat für uns den idealenTagesablauf zusammengestellt. Keine Sorge. Lässt er sich im Alltag nicht 100-prozentig umsetzen, weil berufliche oder soziale Verpflichtungen es eben nicht zulassen, ist das kein Drama. Einfach versuchen, so viel wie möglich in den Tag zu integrieren.
2 bis 6 Uhr: Früh aufstehen, besser aufwachen
Raus aus den Federn und den Tag möglichst früh angehen. Zwischen 4 und 5 Uhr morgens wird der Schlaf leichter, und der Tag kann beginnen! Wer unter Schlafproblemen leidet, wacht um diese Zeit oft zum ersten Mal auf. Diese Periode – Vatta genannt – bezeichnet die Beweglichkeit, da während dieser Zeitspanne alle dynamischen Prozesse des Körpers aktiviert werden. Um den Geist für den Alltag vorzubereiten, empfiehlt Dr. Wathsala, direkt nach dem Aufwachen einige Minuten zu meditieren. Dafür setzen wir uns entweder auf einen Stuhl oder im Schneidersitz auf eine Yogamatte und fokussieren unsere Aufmerksamkeit für einige Minuten ganz auf unsere Atmung.
5 Situationen, in denen Meditieren ungemein hilft
6 bis 10 Uhr: Die morgendliche Reinigung
Nach 6 Uhr fällt das Aufwachen oft besonders schwer. Jetzt beginnt die erste Kapha-Periode, in der der Geist sehr ruhig ist und man die Dinge lieber gelassen angeht. Nicht umsonst wird Kapha in der ayurvedischen Lehre „der stille Genießer“ genannt. In dieser Phase widmen wir uns der Hygiene und reinigen Körper und Geist: Zuerst trinken wir ein Glas lauwarmes Wasser, das die Verdauung anregt, dann folgt das Ölziehen. Noch nie gehört? Beim Ölziehen nehmen wir einen Esslöffel Sesamöl zu uns und spülen beziehungsweise ziehen das Öl für fünf bis zehn Minuten im Mundraum hin und her. Wozu das Ganze? Das Öl nimmt Giftstoffe aus dem Mundraum auf und schützt die Zähne vor Karies. Um der Mundhygiene noch den Feinschliff zu verpassen, geht es anschließend ans Zungenschaben. Dafür können wir einen herkömmlichen Löffel verwenden und drei- bis viermal auf der Zunge hin und her schaben, um die angehafteten Bakterien zu entfernen. Zum Schluss dann einfach wie gewohnt die Zähne putzen.

Morning-Yoga-Session
Jetzt ist die Zeit, den Organismus mit Yoga, Atemübungen oder einem Spaziergang in Schwung zu bringen. Wer Yoga mag, sollte morgens einen dynamischen Vinyasa-Flow wählen. Ein paar Minuten Meditation und Yoga am Morgen geben Kraft und Gelassenheit. So sind Geist und Körper für den gesamten Tag gewappnet, und das Tief am Nachmittag bleibt aus.
Selbstmassage
Im Tagesablauf nach Ayurveda steht mindestens einmal wöchentlich eine Selbstmassage auf dem Programm. Dafür Massageöl im Wasserbad leicht erwärmen und damit den ganzen Körper (inklusive Kopf) massieren. Dr. Wathsala rät, beim Massieren auch mal die Richtung zu wechseln: mal zum Herzen hin, dann vom Herzen weg. Nach der Massage das Öl noch für etwa fünf Minuten in die Haut einziehen lassen. Die Selbstmassage regt die Blutzirkulation an, das wirkt sich wohltuend auf Körper und Geist aus und verbessert auch das Hautbild.
Das Kapha-Frühstück
Nach Ayurveda ist die beste Uhrzeit für das Frühstück zwischen 7 und 9 Uhr morgens. Die indische Lebensführung empfiehlt ein warmes Frühstück, das ist schonender für den Magen. Ein kaltes Frühstück verlangsamt zudem den Stoffwechsel – ein warmes hingegen regt ihn zusätzlich an. Deshalb ist morgens zum Beispiel ein warmes Porridge mit frischen Früchten besser als Müsli mit kalter Milch.

10 bis 14 Uhr: Die heiße Phase
Nachdem wir uns mit Yoga, Meditation und einem reichhaltigen Frühstück vorbereitet haben, geht es nun in die produktive Phase des Tages. Die Pitta-Periode eignet sich hervorragend, um wichtige Entscheidungen zu treffen oder Organisatorisches zu planen. Pitta, auch „der Hitzkopf“ genannt, vereint das Feuer- und Wasserelement, wodurch der Körper in dieser Zeitspanne mit sehr viel Energie beliefert wird. Auch die Verdauung läuft auf Hochtouren, weshalb wir gegen 12 Uhr wieder etwas essen können.
Das Pitta-Mittagessen
Um dem Körper viel Kraft für den restlichen Tag zu liefern, sollte diese Mahlzeit aus Eiweiß durch Fisch oder Hülsenfrüchte und einer großen Portion Gemüse bestehen. Ein frischer Salat mit Hülsenfrüchten oder Rohkost stehen während der Pitta-Phase ganz oben auf dem ayurvedischen Ernährungsplan. Tipp: Gewürze verwenden! Die wirken sich positiv auf die Verdauung aus und fördern den Stoffwechsel. Die ayurvedische Küche empfiehlt hier besonders: Kurkuma, Koriander, Ingwer und Fenchel.
Powernapping
Gegen 13 Uhr steht ein kleiner Mittagsschlaf auf dem Plan. 15 Minuten Pause. Diese Kurzschlafepisode reicht schon aus, um für den Rest des Tages leistungsfähig zu bleiben. Länger sollte der Nap auch nicht andauern, sonst fühlen wir uns müder als zuvor.

14 bis 18 Uhr: Das Nachmittagstief überwinden
Am Nachmittag beginnt die zweite Vata-Phase des Tages. Hier verringert sich das Energielevel des Körpers, er wird etwas träge, und die Konzentrationsfähigkeit lässt nach. Besser die Zeit für Routinearbeiten nutzen, bei denen wir uns nicht allzu viele Gedanken über den Ablauf machen müssen. Wer Appetit bekommt, greift auf ein paar Nüsse oder Trockenfrüchte zurück, da eine Mahlzeit während dieser Zeit zu Verdauungsstörungen führen kann.
Positive Gedanken gegen Stress
Positives Denken fällt nicht immer auf Knopfdruck leicht. Dabei können Körper und Geist durch positive Gedanken stark beeinflusst werden. Nicht nur im Ayurveda spielen Gedanken eine große Rolle. Auch die Wissenschaft hat herausgefunden, dass wir unser Leben dadurch deutlich verbessern können. Durch die positive Energie der Gedanken sinkt nämlich das Stresshormon Cortisol, und das führt dazu, dass der Alltag deutlich leichter fällt. Grund genug, dem ewigen Grübeln immer mal wieder den Kampf anzusagen.
18 bis 22 Uhr: Runterkommen, wenn die Sonne untergeht
Mit dem Untergang der Sonne beginnt die zweite Kapha-Periode. Laut Ayurveda sollten wir die letzte Mahlzeit zwischen 17.30 und 19.30 Uhr zu uns nehmen. Für das Abendessen möglichst leicht verdauliche Lebensmittel wählen, da der Stoffwechsel am Abend runterfährt. Rohkost und Salate sind jetzt die falsche Wahl. Besser: gedünstetes Gemüse mit Fisch oder eine warme Suppe. Auch Milchprodukte wie Sahne oder Butter sollten wir links liegen lassen, da sie über Nacht schlechter verdaut werden und zu einem unruhigen Schlaf führen können. Ab 20 Uhr widmen wir uns ganz der Entspannung und lassen die angestaute Energie des Alltags raus. Das kann ein Spaziergang an der frischen Luft sein oder ein gemütlicher Plausch mit den Liebsten – Hauptsache, wir fahren runter.

22 bis 2 Uhr: Energie sammeln in der Ruhephase
Und schon ist wieder Pitta-Phase. Aber anders als in der produktiven Mittagsphase ist jetzt Schlafenszeit. Fernsehen oder laute Musik vor dem Schlafengehen besser vermeiden. Denn viele vergessen, dass der menschliche Körper klug ist und sich die Signale, die wir ihm durch unser Verhalten senden, sehr zu Herzen nimmt und sich daran anpasst. Greifen wir also lieber zu einem guten Buch, um Körper und Geist auf die kommende Ruhephase einzustellen. Und wenn uns plötzlich der Heißhunger auf etwas Süßes überfällt? Normalerweise der Moment, in dem wir uns noch eine Kleinigkeit zum Naschen holen. Dieser Versuchung sollten wir aber widerstehen. Denn im Ayurveda gilt: Finger weg von Mitternachtssnacks! Die wirken sich nämlich alles andere als positiv auf den Schlaf aus und führen dazu, dass wir nicht nur die erholsamste Schlafphase um Mitternacht auslassen, sondern nachts auch öfter aufwachen. Also: Vom Kühlschrank fernhalten und ab ins Reich der Träume!
Was bringt der strikte Tagesablauf?
Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Regelmäßigkeit und Sicherheit. Vieles in unserem Leben liegt aber außerhalb unserer Kontrolle – das ist verunsichernd und kann schnell zu Stress führen. Um den Tag reibungsloser und zielorientierter zu bestreiten, helfen uns also Routinen wie diese. Laut Dr. Wathsala hat sich der Körper schon nach wenigen Tagen auf die neuen Regelmäßigkeiten eingestellt. Haben wirzum Beispiel feste Zeiten zum Schlafen, werden wir auch zur rechten Zeit müde. Vermutlich lässt sich nicht jede Zeitperiode der Doshas in den Alltag integrieren, doch schon kleine Veränderungen können einen sehr positiven Einfluss auf Geist und Körper haben.
So erkennst du deinen Dosha-Typ
Nicht nur während des Tages spielen die drei Doshas eine wichtige Rolle. Damit wir optimal auf unsere individuellen Bedürfnisse eingehen können, sollten wir unsere eigene Grundkonstitution kennen
9 alltagstaugliche Tipps für Ayurveda-Einsteiger
So durchdacht dieser Tagesablauf auch ist, er lässt sich natürlich nicht immer und überall umsetzen. Ob Stress im Job, ein Schnupfen oder ein wichtiger Termin – irgendetwas kann uns immer in die Quere kommen und uns daran hindern, diese Routinen zu befolgen. Damit wir aber trotz eines hektischen Alltags von der ayurvedischen Energie profitieren können, hat Dr. Wathsala ein paar wirklich gute, alltagstaugliche Tipps zusammengestellt:
1. Möglichst ausgewogen ernähren
2. Regelmäßig in einem Abstand von vier bis fünf Stunden essen. Die letzte Mahlzeit sollte vor 19.30 Uhr gegessen werden
3. Keine Mahlzeit auslassen
4. In der Mikrowelle erhitzte Speisen, Fast Food und Süßigkeiten meiden
5. Beim Kochen hochwertige, kalt gepresste Öle verwenden
6. Direkt nach dem Aufstehen und mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück einen halben Liter warmes Wasser trinken, um den Körper zu entgiften
7. Frisches Obst nicht gleichzeitig mit anderen Nahrungsmitteln verzehren
8. Kaffeekonsum reduzieren
9. Alkohol und Nikotin meiden
Vermutlich lässt sich nicht jede Zeitperiode der Doshas in deinen Alltag integrieren, doch schon kleine Veränderungen können wahre Wunder bewirken und einen positiven Einfluss auf Geist und Körper haben. Probier's einfach mal aus.