Suchend springt mein Blick durch den Kühlschrank. Wo ist nur der Parmesan? Doch während ich den Käse offenbar aufgegessen habe, stolpere ich über andere Schätze aus vergangenen Zeiten: 2 abgelaufene Joghurts, ein Bund schrumpelige Radieschen und eine angebrochene Flasche Apfelsaft mit Pelz auf der Oberfläche.
Im Obstkorb sieht es nicht viel besser aus, darin liegen 3 rabenschwarze Bananen. Kurzerhand entschließe ich mich, auch mal einen Blick in die Vorratskammer zu werfen – und bin wenig später entsetzt über die Menge an aussortierten Lebensmitteln. Das ist ja fast ein Einkaufskorb voll, der da im Müll landet!
Das Schlimmste: So wie mir geht es den meisten Deutschen, denn die Zahlen sprechen für sich: Jährlich landen in Deutschland 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Im Schnitt werden 81 Kilo Nahrungsmittel pro Person und Jahr weggeworfen! Dabei ist es ganz leicht, diese Menge an Lebensmittel-Müll zu reduzieren. Und Geld spart man auch: 940 Euro pro Jahr in einem 4-Personen-Haushalt! Wir verraten dir die besten Tipps, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
Lebensmittelverschwendung beginnt beim Einkauf
Warum statistisch gesehen ein Drittel meines Einkaufs im Mülleimer oder der Biotonne landet, erklärt Selvihan Koç aus dem Referat für Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein: „Wir kaufen häufig viel zu viel ein. Unter anderem, weil der Handel ständig mit vermeintlich attraktiven Angeboten lockt und verstärkt große Gebinde anbietet. Dann kostet ein Netz mit 10 Orangen genauso viel wie 5 einzeln gekaufte. Doch wenn ich letztlich 6 Früchte wegwerfe, habe ich sogar mehr bezahlt – und abgesehen davon wertvolle Lebensmittel verschwendet.“ Eine Entwicklung, die sich seit 1970 verdoppelt hat.
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Wegwerf-Gesellschaft: Was sind uns Lebensmittel noch wert?
Die Wertschätzung gegenüber Nahrungsmitteln hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem verändert: Während wir 1950 noch 50 Prozent unseres Einkommens für Essen und Trinken investieren mussten, geben wir heute gerade mal 10 Prozent dafür aus. Milch, Wurst, Äpfel und Blumenkohl sind zu Billigprodukten verkommen und werden entsprechend behandelt: 49 Prozent unseres gekauften Obstes und Gemüses landen unangetastet in der Tonne, dabei lässt sich auch überreifes Obst noch toll verwerten.
Doch nicht nur Obst und Gemüse landen im Müll, auch 14 Prozent aller Backwaren, bei Fleisch, Fisch und Milchprodukten sind es 11 Prozent. Nahrung ist heute überall, zu jeder Zeit und im Überfluss vorhanden. Und unsere Erwartungshaltung, auch noch um 19:45 Uhr ein frisches Dinkel-Chia-Brot kaufen zu können, sorgt ebenfalls ein Stück weit für volle Regale bis zum Ladenschluss – mit dem erwähnten Ausschuss.
Wie unser Lebensstil die Lebensmittelverschwendung fördert
Auch unser Lifestyle – geprägt durch Mobilität und wenig Zeit – sorgt dafür, dass immer mehr Lebensmittel-Müll entsteht. Laut der aktuellen Verbraucherstudie Consumer’s Choice kochen 42 Prozent aller Deutschen gar nicht mehr, der Konsum von Lebensmitteln sinkt jedoch nur minimal. Und mal ehrlich: Wer hat im Supermarkt schon die nächsten 3 Geschäftsessen im Kopf oder lässt sich vom Spontantrip ans Meer abhalten, nur weil der Kühlschrank prall gefüllt ist?
Vom Feld in den Müll: Essen wegwerfen nach dem Schönheitsprinzip
Doch nicht nur in den Privathaushalten landen große Menge an Lebensmitteln im Müll: „Bis zu 30 Prozent der gesamten Obst- und Gemüseernte landen gar nicht beim Konsumenten, sondern werden vorher aussortiert“, erklärt Lebensmittelretterin Amelie Mertin aus München.
Sobald Kartoffeln zu groß oder zu klein sind, Möhren ein zweites Bein oder Äpfel eine Druckstelle haben, gelten sie als „unverkäuflich“. Im günstigsten Fall landen sie dann bei Mertin. Sie betreibt mit 3 anderen Gründern das Start-up Querfeld (www.querfeld.bio), das diesen Ausschuss mit Schönheitsfehlern direkt von den Biobauern erwirbt und es an Caterer und Großküchen verkauft.

„Das meiste jedoch wird nach wie vor auf dem Acker liegen gelassen, in der Biogasanlage verbrannt oder zu Tierfutter. Dabei freuen sich unsere Kunden sogar über große Exemplare – so müssen sie weniger schälen. Auf Qualität und Geschmack hat ein kleiner Makel eh keinen Einfluss“, so Mertin, die auf diesem Wege mehrere Tonnen einwandfreie Lebensmittel vor der Vernichtung bewahrt hat.
Doch es gibt noch viel zu tun: Vom Acker bis zum Teller sind es jährlich 500 000 Lkw-Ladungen Lebensmittel alleine in Deutschland, die nicht gegessen werden. Zum Glück wachsen aber auch die Initiativen, die sich für den verantwortlichen Umgang mit Essen stark machen (siehe weiter unten).
Food-Waste-Ursache: Das Mindesthaltbarkeitsdatum
Ungeöffnet haltbar bis: Dieser Satz mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) feuert die Lebensmittelverschwendung zusätzlich an. 43 Prozent aller entsorgten Lebensmittel werden laut einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nur weggeworfen, weil das aufgedruckte Datum überschritten ist. Dabei sagt die Zahl nichts über die Genießbarkeit des Joghurts oder der Nudeln aus. Wie auch – schließlich wissen beide nicht, dass sie am Tag X plötzlich sauer oder schimmelig werden müssten.
„Das Datum drucken die Hersteller nach eigenem Ermessen auf die Verpackungen. Sie garantieren damit nur, dass das geschlossene, richtig gelagerte Lebensmittel mindestens bis zu diesem Zeitpunkt die zugesicherte Konsistenz, Farbe, den Geruch und Geschmack sowie den Nährwert behält“, erklärt Verbraucherschützerin Koç.
Tatsächlich ist die Mehrheit der Produkte noch Tage, Wochen, Monate, wenn nicht sogar Jahre später bedenkenlos verzehrbar. „Grundsätzlich gilt: Je trockener ein Nahrungsmittel ist, desto länger ist es haltbar.“ Deswegen steht auf Zucker und fluorfreiem Salz bereits seit Längerem kein MHD mehr drauf.
Unser Tipp, um das Wegwerfen von Lebensmittel zu stoppen: Nach Ablauf des MHDs solltest du einfach eine eigene Qualitätskontrolle per Augen, Nase und Mund durchführen. Nur was durchfällt, landet auf dem Kompost oder im Mülleimer.

3 clevere Tipps, wie du die Haltbarkeit deiner Lebensmittel verlängerst
Lebensmittel mit geringer Haltbarkeit landen besonders schnell im Müll. Dabei gibt es clevere Tipps und Tricks, wie du die Haltbarkeit verlängern kannst:
1. Weg mit den Plastikverpackungen
Folien sollen Obst und Gemüse schützen und haltbarer machen. Doch bei Temperaturschwankungen beginnen Möhren und Bananen oft zu schwitzen und verderben schneller. Obst besser ohne lagern, bei Gemüse verzögern spezielle Behälter mit Vakuumdeckel den Verfall.
2. Lebensmittel richtig lagern
Orientiere dich bei der richtigen Lagerung am Herkunftsland des jeweiligen Lebensmittels: Südfrüchte mögen keine Kälte, Kartoffeln lieben es kühl und dunkel. Äpfel und Tomaten separat aufbewahren. Ihr Pflanzenhormon Ethylen beschleunigt den Reifeprozess der Nachbarn.
3. Einfrieren statt wegwerfen
Fast alle Gemüse- und viele Obstsorten lassen sich einfrieren und später zum Beispiel zu Suppen oder Smoothies verarbeiten. Waschen, klein schneiden, fertig. Manche Meal Prepper packen sich auch "Smoothie-Beutel", sprich: Alle Zutaten für einen Smoothie klein schneiden und einfrieren. Bei Bedarf dann einfach herausholen und in den Mixer schmeißen. Der Smoothie ist dadurch angenehm kühl.
Was kann jeder einzelne gegen Lebensmittelverschwendung tun?
Beim Thema Food Waste sind es in erster Linie Kleinigkeiten, die zu großen Veränderungen führen können: Dazu zählen zum Beispiel die gute alte Einkaufsliste und ein bisschen Planung, die sowohl uns als auch die Lebensmittel vor Verschwendung schützen. Frage dich vor dem Einkauf: Wie viele Mahlzeiten esse ich tatsächlich zu Hause (und nicht außer Haus)?
Oder: Werde ich die ganze Staude Bananen wirklich schaffen zu essen? Braune Bananen sind wohl der Klassiker unter den Wegwerf-Lebensmitteln, dabei kann man mit ihnen noch so viel in der Küche anstellen: Mache zum Beispiel eine schnelle Nicecream (gesundes, veganes Bananen-Eis) oder einen leckeren Smoothie/ Smoothie-Bowl. Unser Tipp: Bananen-Pancakes. Die überreife Banane enthält soviel Fruchtzucker, dass du kein weiteres Süßungsmittel mehr brauchst.

Auch Meal Prep kann helfen, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. „Meal Prep“ ist im Grunde nichts anderes als „Vorkochen“. Plane deine Mahlzeiten für die Woche und koche sie vor. Dann verpackst du alles in Tupperdosen und hast immer eine vollwertige Mahlzeit parat – ob als Mittagessen to go oder wenn du abends nach Hause kommst.
Ein weiterer guter Tipp: „Gehe nicht hungrig ins Geschäft, sonst kaufst du nachweislich mehr, als du brauchst“, rät Koç. Das kann auf dem Kompost, aber auch auf den Rippen landen.
Der Kauf beim Bauern oder auf dem Wochenmarkt steigert das Bewusstsein für Waren und befreit aus den kommerziellen Zwängen der Lebensmittelindustrie. Unterstütze zudem Händler, die Produkte mit kurzem MHD verkaufen. Kleiner Tipp: Übe bei Obst und Gemüse doch in Zukunft so viel Nachsicht wie bei deinem Freund. Den liebst du schließlich auch mit seinen kleinen Macken …
Diese 3 Initiativen, Apps und Restaurants kämpfen gegen Lebensmittelverschwendung
1. Foodsharing: In den letzten 4 Jahren hat die Initiative knapp 7 Millionen Kilo Lebensmittel gerettet. Einfach anmelden und Nahrungsmittelreste mit anderen teilen oder die Reste in einen der bundesweiten "Fair-Teiler"-Kühlschränke stellen. Hier geht's zur Food-Sharing Anmeldung.
2. Zu gut für die Tonne: Mit dieser und der "Restlos genießen"-Aktion reagiert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf den skandalösen Umgang mit Lebensmitteln. Dabei verraten Spitzenköche großartige Reste-Rezepte oder es werden Restaurants aufgelistet, die dem Gast Reste umweltfreundlich verpackt mitgeben. Mehr Infos unter www.zugutfuerdietonne.de
3. ResQ: 10 Prozent aller zubereiteten Mahlzeiten in Restaurants werden weggeworfen. Schluss damit! Dank der Food-Saving-Plattform „ResQ“ können diese günstig abgeholt werden. Gleich Angebote in deiner Umgebung checken.
Jeder kann etwas an der steigenden Lebensmittelverschwendung ändern: Kaufe nicht mehr ein, als du wirklich brauchst und greife bewusster zu zu regionalen und saisonalen Lebensmitteln. Und vor allem: Sei kreativ beim Kochen und verwende Reste für neue Kreationen. Aus der braunen Banane aus dem Obstkorb lassen sich zum Beispiel leckere Smoothie und sogar Brownies backen.