Es heißt oft, Training beginnt im Kopf. Damit ist meistens die Motivation gemeint, auch der Wille, der Ehrgeiz. Doch der Kern dieser Aussage greift noch viel tiefer. Denn durch die Stimulation von Gehirn und Nervensystem lässt sich dein Training aufs nächste Level bringen.
"Neurozentriertes Training geht auf den Grundsatz zurück, dass Bewegung im Gehirn entsteht", sagt die Berliner Personal Trainerin Luise Walther, die sich auf den neuen Trainingsansatz spezialisiert hat. Mit ihr gemeinsam erklären wir dir hier, was mit Neuroathletik gemeint ist und wie du sie für dich nutzen kannst. Und vorab noch ein Tipp an alle Bodyweight-Fans: Hier geht's zu unserem Trainingsplan für attraktive Muskeln.
Was ist Neuroathletik?
Kurz gesagt: Alle neurologischen und neurozentrierten Prozesse, also auch Bewegung und Schmerzwahrnehmung, werden durch das Gehirn koordiniert. Es bestimmt durch die Bewegungssteuerung wie stark, schnell, beweglich oder ausdauernd du bist. Ist das Gehirn schwach, wirkt sich das negativ auf die körperliche und sportliche Leistung aus. Dort setzt die Neuroathletik an und versucht zu steuern, insbesondere was mögliche hinderliche Beschwerden angeht.
Leider sind trotz ausreichend Bewegung und guter Trainingsmethoden Schmerzen und Verletzungen oft nicht aus dem Alltag wegzudenken. Auch Fehlbelastungen, eine schlechte Körperhaltung und verkürzte Muskeln können zum Problem werden. Genau da setzt das neurozentrierte Training an: Der Fokus wird von Muskeln, Sehnen und Bändern auf das Gehirn verlagert. So sollen Fehler in der Kommunikation verschiedener Körperbereiche mit dem Gehirn gefunden und verbessert werden.
Warum Neuroathletik das Training optimiert
Das Gehirn ist neuroplastisch, was bedeutet, dass es sich stets verändern und optimieren kann. Es ist ihm daher möglich, seine Struktur und Funktion auch bis ins hohe Alter an seine Nutzung anzupassen.
Beim neurozentrierten Training wird zum Beispiel das sogenannte Sensory Priming genutzt, um Gehirn, Nervensystem und Muskeln besser zu vernetzen. Dabei wird ein starker, positiv wirkender Stimulus (zum Beispiel eine bestimmte Übung) eingesetzt, um die Aktivität gewisser Hirnareale hochzufahren, sodass der darauffolgende Trainingsreiz besser integriert werden kann.
Auch der Schutzreflex des Gehirns spielt hierbei eine Rolle. Bei allem, was du tust, stellt sich das Gehirn die Frage: Wie gefährlich ist das, was gerade passiert? Werden die eingehenden Informationen als unsicher eingestuft, ergreift der Körper automatisch Schutzmaßnahmen, die dann wiederum die Leistungsfähigkeit drosseln. Je klarer die Informationen, desto höher ist also die Sicherheit im Bewegungsablauf und somit die Leistung.
Diese Informationen bekommt das Gehirn durch die 3 bewegungssteuernden Systeme des Körpers: Durch alles, was über die Augen wahrgenommen wird, steuert das visuelle System die Bewegung. Das vestibuläre System, auch als Gleichgewichtsorgan bekannt, richtet die Bewegungen gegen die Schwerkraft im Raum aus. Und das propriozeptive System steuert währenddessen die Selbstwahrnehmung des Körpers im Raum. "Die Informationen der Systeme werden durch das zentrale Nervensystem an das Gehirn weitergeleitet. Dort wird alles interpretiert und integriert, die Informationen werden quasi zusammengefasst", sagt Walther. Unser Tipp: So räumst du dein Gedächtnis auf.
Was bringt Neuroathletik?
Im Spitzensport wird sie oft angewendet, um das volle Potenzial von Profisportlern auszuschöpfen. Wie gut das funktionieren kann, deutet der Weltmeistertitel der deutschen Männer-Fußballnationalmannschaft im Jahre 2014 an. Denn in der Vorbereitung auf das Turnier hatten neurozentrierte Übungen einen festen Platz im Training.
Was im Spitzensport funktioniert, klappt auch bei Hobbysportlerinnen? Ja, und genau deswegen ist die Idee so genial: Sie lässt sich auch auf Freizeitathletinnen und Schmerzpatientinnen übertragen. "Es ist egal, ob eine Hobbyläuferin ihre Bestzeit erreichen will oder ob es junge Mütter sind, die mit Beckenbodenproblemen zu kämpfen haben – alle profitieren vom neurozentriertem Training", sagt die Expertin. Und falls du nach der Geburt deinen Beckenboden ausgeglichen kräftigen möchtest: Hier geht's zu unserem Postnatal-Trainingsplan.
Wie Neuroathletik auch dein Workout verbessert
Auch wer im Training einfach nicht weiterkommt oder unter immer wiederkehrenden Schmerzen leidet, profitiert von der neuronalen Stimulation.
Wenn du zum Beispiel 3-mal pro Woche Krafttraining machst, aber keine Erfolge siehst, kann das daran liegen, dass die Reizintensität zu schwach ist und dein Gehirn nicht herausgefordert wird. Nach Verletzungen kann es passieren, dass du in eine Fehlhaltung hineintrainierst, weil das Nervensystem vergessen hat, wie sich die Bewegung richtig anfühlen sollte. Je genauer dein Gehirn also weiß, wie die Gelenke stehen müssen, wo deine Augen sein sollten und wie gut dein Gleichgewichtssinn ist, umso besser sind auch die Bewegungsausführungen. "Man kann schon mit kleinen Übungen extrem schnell einen hohen Effekt erzielen – denn das Nervensystem reagiert sofort", sagt Walther.
Zwar sind Fehlhaltungen oder Schmerzen nicht sofort verschwunden, beim richtigen Input ist jedoch eine sofortige Verbesserung spürbar. Dennoch ist es schwierig, grundsätzliche neurozentrierte Übungen zu empfehlen: "Jedes zentrale Nervensystem und damit jeder biochemische Prozess ist anders. Deswegen kann man nicht sagen: Du hast Rückenschmerzen, dann mach diese Übung. Jedes Nervensystem reagiert anders."
Wie besseres Atmen den Trainingseffekt steigert
Es gibt viele neurozentrierte Übungen, die allgemein helfen können, neue Reize zu setzen oder Schmerzen zu reduzieren. Doch besonders wichtig ist der Fokus auf die Atmung. Durch Stress und Bewegungsmangel atmen viele Menschen im Alltag oft zu flach und begünstigen damit Verspannungen oder Kopfschmerzen. Denn die Atmung hat eine starke Wirkung auf das zentrale Nervensystem und das Gehirn. Und kennst du schon Yoga Nidra? So steigerst du im yogischen Schlaf dein Wohlbefinden.
Um einer flachen Atmung entgegenzuwirken, kannst du bewusst darauf achten, tief ein- und verlängert auszuatmen. Um Atemfrequenz und -volumen zu verbessern, kannst du dir ein Fitness-Band leicht um den Rippenbogen binden und tief ein- und ausatmen. "Der Rippenbogen wird gedehnt, die Lunge reagiert und merkt, ich kann nicht nur 20 Prozent, sondern 80 Prozent meines Volumens nutzen", erklärt die Expertin.
Der Atem wird während der Übungsausführung gehalten, damit der Körper lernt, den vorhandenen Sauerstoff zu verstoffwechseln und die Atmung automatisch zu regulieren. Ein Beispiel: Vor jedem Squat tief einatmen, Atmung und Spannung halten, Wiederholung durchführen, tief ausatmen. Dabei trainierst du nicht nur die Atmung, sondern auch die Körperspannung.
Tief einatmen – halten – ausatmen. Neuroathletik verknüpft gezielte Atmung mit Bewegung und schafft somit mehr Bewusstsein für die Übung
Welche anderen Tipps aus der Neuroathletik gibt es?
Zum Beispiel das Augentraining. 80 Prozent des Inputs, der im Gehirn verarbeitet wird, kommt über das Sehorgan. Um die Augen zu trainieren, kannst du beispielsweise Blicksprünge üben. Dabei wechselst du mit deinen Blicken zwischen einem Objekt, das nah an dir dran ist, und einem, das weiter entfernt ist, hin und her. Damit schulst du die visuellen Teilfunktionen des Auges, verbesserst die Aufnahme und Verarbeitung visueller Reize und steigerst deine allgemeine Seh- und Wahrnehmungsleistung.
Ein weiterer Tipp vom Profi, um neurozentriertes Training in den Alltag zu integrieren, ist das neuronale Warm-up. Dabei reibst du alle Körperbereiche, die im Training beansprucht werden, um die jeweiligen Rezeptoren zu aktivieren. Was albern klingt (und vielleicht auch so aussieht), hat aber sogar einen höheren Effekt für die Trainingsvorbereitung als das herkömmliche Aufwärmen auf dem Crosstrainer. Hier erfährst du, warum das Warm-up so wichtig ist.
Der Effekt von neurozentrierten Methoden ist unmittelbar und du kannst sofort von Vorteilen profitieren. Liefern Augen, Gleichgewichtssinn und Körper dem Gehirn die richtigen Informationen, kann das deine Trainingsleistung enorm verbessern. Je genauer dein Gehirn weiß, wie die Gelenke stehen müssen, wo deine Augen sein sollten und wie gut dein Gleichgewichtssinn ist, desto besser sind auch die Bewegungsausführungen.
Die 3 besten Neuroathletik-Übungen
Neugierig geworden? Okay. Damit du direkt mit dem Training beginnen kannst, haben wir für dich 3 einfache und effektive Neuroathletik-Übungen zusammengestellt:
- Besser atmen: Muskulatur kann nur entspannen, wenn auch dort alles im Gleichgewicht ist. Fühle also rein in deinen Körper und lokalisiere mögliche Schmerzpunkte. Atme tief ein und verlängert aus – das hilft sofort.
- Dich selbst spiegeln: Dir tut das rechte Knie weh? Vergleiche die Schmerzen mit dem linken Knie, um die Spiegelneuronen zu aktivieren und den Schmerz in der Wahrnehmung zu reduzieren. Auch der Schmerz entsteht im Gehirn, es muss also nicht immer ein Gewebeschaden vorhanden sein, wenn’s zwickt.
- Langsamer bewegen: Verfalle nicht in Schockstarre, sondern bewege dich! Führe die schmerzende Bewegung bewusst und langsam aus. Wenn dein Rücken schmerzt, mach den Katze-Kuh-Move aus dem Yoga, in minimaler Geschwindigkeit und minimalem Bewegungsumfang. So lernt dein Gehirn Schritt für Schritt: Wenn es langsam stattfindet, ist es keine Bedrohung. Und wenn es keine Bedrohung ist, löst sich die Schutzspannung. So kannst du weiter in die Bewegungsausführung gehen.
Du hast Lust auf Neuroathletik bekommen und willst neben deiner Fitness auch dein Gehirn trainieren? Dann starte doch am besten direkt heute mit unseren Neuroathletik-Übungen.
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