Ein kleiner Spaziergang oder eine Jogging-Runde nach einem stressigen Arbeitstag kann den Kopf so richtig freipusten. Eine Sonnengruß-Routine am Morgen gibt dir das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Und ein Boulder-Date am Wochenende sorgt gleich für mehrere Tage gute Laune. Fakt ist: Sport tut nicht nur dem Körper gut, sondern wirkt sich auch auf deine Psyche aus.
Doch was passiert eigentlich im Hirn, wenn du dich bewegst? Welche positiven Effekte kann Sport haben – und vor welchen negativen Auswirkungen musst du dich in Acht nehmen? Und welche Sportarten wirken sich besonders positiv auf deine Psyche aus? Wir haben uns den aktuellen Stand der Forschung angeschaut und die Sportpsychologin Kathrin Seufert gefragt.
Wie beeinflusst Sport die Psyche?
Sofort fällt auf: Es gibt ziemlich viele Studien zu dem Thema. "Es ist mittlerweile klar, dass Sport für ein besseres psychisches Befinden sorgen kann, und das sogar unabhängig von Alter und Geschlecht. Was da genau im Hirn und im Körper abläuft, ist allerdings noch nicht ganz geklärt", sagt Kathrin Seufert, die als Sportpsychologin mit Menschen aus dem Leistungs- und Freizeitsport zusammenarbeitet. Sie weist darauf hin, dass jeder Mensch einzigartig ist: "So ist es auch individuell unterschiedlich, wo die Wirkung der Bewegung 'andockt': Ist es am Ende zum Beispiel eine Frage des eigenen Körperbilds, ist es eine Stressentlastung, geht es um Routinen oder darum, sich zu verbessern?"
Auch wenn es schwierig ist, pauschale Aussagen zu treffen, warum sich Sport positiv auf die Psyche auswirken kann, gibt es mittlerweile gesicherte Beobachtungen. So weist der Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP) darauf hin, dass "Bewegung neurophysiologisch gesehen zu einer Ausschüttung verschiedener Transmitter, u.a. von wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin führt, die Glücksgefühle freisetzen, die Leistungsbereitschaft erhöhen und einen Belohnungseffekt vermitteln (..) Sport regt außerdem den Stoffwechsel an und unterstützt somit auch den Abbau von Stresshormonen."
Auch ein verbessertes Körperbild und eine erhöhte Selbstwirksamkeit können zu den positiven Effekten von Sport zählen, sagt Sportpsychologin Seufert: "Wer im Fitnessstudio auf einmal 10 Kilo mehr draufpacken kann, wird sich besser, stärker, eigenmächtiger fühlen. Oder wenn man eine neue Sportart ausprobiert und auf einmal Muskelkater an einer Stelle hat, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte: Das fühlt sich gut an, das ist ein ganz neues Körpergefühl und man weiß, dass man etwas getan hat."
Je nach Sportart werden unterschiedliche Hirnareale gefordert und gefördert. Gleichzeitig werden aber auch andere Bereiche im Hirn heruntergefahren, zum Beispiel der präfrontale Cortex, der – vereinfacht gesagt – fürs Grübeln zuständig ist. "Sport führt damit zu einer besseren Konzentration, weil ein Teil des Hirns eine Auszeit bekommt und danach wieder schneller in die Fokussierung gehen kann. Man hat das in Studien bei Kindern nachgewiesen: Nach dem Sportunterricht können die sich auf ihre anderen Fächer besser konzentrieren", erläutert Seufert.
Kann Sport bei psychischen Erkrankungen helfen?
Je nach Sportart kann sie für Entspannung sorgen, für eine bessere Konzentrationsfähigkeit, die körpereigene Produktion von Glückshormonen ankurbeln und die neuronale Aktivität steigern. Die Wirkung von Sport bei psychischen Erkrankungen kann so groß sein, dass er mittlerweile ganz selbstverständlich zu Therapieplänen dazugehört. "Gerade bei Depressionen ist gut erforscht, dass Sport einen großen Effekt haben kann", sagt Sportpsychologin Seufert. "Bei depressiven Patienten und Patientinnen kommt vieles zusammen. Eine eingesunkene Körperhaltung, eingeschränkte Mobilität, Verlangsamung und koordinative Störungen. Sporttherapeutische Maßnahmen können dazu führen, dass Betroffene eine ganz neue Körperwahrnehmung erlangen."
Das hängt unter anderem auch noch mit etwas anderem zusammen: Embodiment. Dabei geht es, grob gesagt, darum, dass jede Emotion auch eine gewisse Körperhaltung, Mimik und Gestik mit sich bringt – und umgekehrt. "Mit einer aufrechten, geraden Körperhaltung fühlen wir uns besser. Aber auch damit, dass körperliche Belastung dazu führen kann, dass sich mentale Belastungen reduzierter anfühlen", so Seufert. Tatsächlich konnte unter anderem eine amerikanische Studie zeigen, dass körperliches Training bei Depressionen ähnlich wirksam sein kann wie eine medikamentöse Therapie. Die deutlichsten Effekte zeigte in der Studie die Gruppe, die 3-mal pro Woche ein beaufsichtigtes Lauftraining absolvierte.
Eine andere Studie zeigte einen großen Effekt, wenn Psychotherapie und körperliche Aktivität kombiniert werden. Auch präventiv hat sich Bewegung bewährt: So zeigen verschiedene Studien, dass ein höheres Aktivitätslevel mit weniger depressiven Symptomen einhergehen kann. Auch in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie wurde dieser Zusammenhang in verschiedenen Studien bestätigt.
Warum sich Sport so positiv bei psychischen Erkrankungen auswirken kann, ist noch nicht abschließend geklärt. Das liegt vor allem an der Komplexität und Heterogenität von Erkrankungen wie Depressionen. In einer Übersichtsarbeit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité von 2022 werden unter anderem neurobiologische Mechanismen genannt, die sich auf das Gehirn und das endokrine System auswirken, aber auch psychologische und psychosoziale Effekte, wie zum Beispiel die Verbesserung des Selbstwerts, eine strukturgebende Routine durch regelmäßigen Sport oder positive soziale Erlebnisse.
Welche negativen Effekte kann Sport auf die Psyche haben?
"Bei meinen Klienten und Klientinnen sehe ich auf jeden Fall, dass Sport einen tollen, positiven Effekt haben kann. Aber: Sport kann auch krank machen!", warnt Sportpsychologin Seufert und nennt als Beispiele etwa Sportsucht, sportlichen Burnout oder das Übertrainingssyndrom. Sie rät dazu, öfter in die Reflexion zu gehen und in sich hineinzuhorchen: "Wichtig ist, sich selbst gut zu kennen und für sich herauszufinden, was einem gerade guttut. Und zu wissen, dass sich das auch ändern kann: Ich selbst war Leistungsschwimmerin und habe es geliebt, jetzt spüre ich nur Stress bei dem Gedanken, 5 Kilometer am Stück zu schwimmen."
Generell gilt: Du solltest gut auf dich achten und sensibel für eigene Reaktionen sein. Wirst du schon nervös, weil der Chef das Meeting 20 Minuten länger zieht und das den Plan fürs Feierabend-Training ändert, könnte das ein deutliches Signal sein, die Rolle des Sports zu reflektieren und zu überprüfen, was eine Verschiebung oder gar Ausfall der Sporteinheit für dich bedeuten würde. Oft spielt auch ein sozialer Druckfaktor mit: "Wenn man sich fragt, ob die anderen Kursteilnehmenden schlecht über einen reden, weil man zweimal nicht da war, könnte die Sportart mehr negative als positive Effekte haben."
Auch der Körper sendet klare Warnsignale. Spüren Sporttreibende ein andauerndes Überlastungsgefühl, spricht das für eine sportliche Erschöpfung. Ein Tipp von der Expertin: "Man sollte sich immer wieder die Frage stellen: Warum mache ich Sport? Sport sollte zum Beispiel nicht die einzige Entlastungsstrategie für Stress sein. Man sollte auch auf andere Entspannungsstrategien, zum Beispiel ein Hobby, Meditation oder soziale Kontakte, zurückgreifen können und nicht alles vom Sport abhängig machen, sonst ist der Druck zu hoch."
Welche Sportart wirkt sich besonders positiv auf die Psyche aus?
"Was man aus Studien weiß: Unterschiedliche Sportarten fordern und fördern das Hirn auch unterschiedlich", so die Sportpsychologin. "Bei allem, was zyklisch ist, wie Schwimmen, Laufen, Radfahren, ist das Hirn erst einmal weniger gefordert." Anders ist es bei Sportarten, bei denen weitere Kompetenzen dazukommen. Im Tennis das Gegenspiel, im Fußball die Mannschaft, Raumgefühl und Taktik, beim Tanzen neue Bewegungsabläufe … "Je komplexer eine Sportart ist, desto mehr verbessern sich die Exekutivfunktionen. Das bedeutet, dass wir uns dadurch besser kontrollieren und unser Verhalten in Teilen besser regulieren können", erklärt die Expertin.
Dieses Phänomen mache man sich gerade im Leistungssport auch beim mentalen Training zunutze: "Man sieht häufig im Bobsport, Skifahren oder beim Bouldern, wie die Personen den Kurs oder die Route im Kopf durchgehen. Spannenderweise werden dabei exakt dieselben Hirnareale angesteuert, wie bei der tatsächlichen Ausübung. Das heißt, man kann sich aktiv verbessern, indem man sich den Sport vorstellt – so sehr ist der Kopf am Sport beteiligt."
In der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen wird häufig auf gleichförmige Ausdauersportarten – beispielsweise Laufen – zurückgegriffen, bei denen die Herzrate zwar moderat, aber nicht zu sehr ansteigt. Bei vielen Sportarten ist es zudem nicht nur die Bewegung selbst, die sich auf die Psyche auswirken kann. Auch soziale Kontakte, frische Luft, der ruhige Wald oder motivierende Beats können einen positiven Effekt haben.
Beim gemeinsamen Training zu lachen setzt eine Extraportion Glückshormone frei
Wie oft oder wie lange muss ich Sport machen, damit die Bewegung positiven Einfluss auf die Psyche hat?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen, jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten körperlich aktiv zu sein. Gemeint sind damit vor allem aerobe Aktivitäten. An zwei oder mehr Tagen der Woche sei außerdem ein umfassendes Krafttraining gesund. Die kurzfristige, positive Wirkung von Sport auf die Psyche stellt sich aber tatsächlich schon früher ein. So kann beispielsweise schon ein kleiner Spaziergang oder ein kurzes Pausen-Workout für bessere Stimmung und einen klareren Kopf sorgen.
Ein Punkt, der ebenfalls nicht unterschätzt werden sollte: Die Kraft von Routinen! "Klare Strukturen tun uns Menschen grundsätzlich gut und machen uns resilienter. Wer weiß, dass es mittwochs immer zum Sport geht, freut sich wahrscheinlich schon dienstags darauf und wird durch diese verlässliche Routine entlastet", sagt Sportpsychologin Seufert.
Wie finde ich die richtige Sportart für mich?
Die "richtige" Sportart ist eine individuelle Frage, sagt auch Expertin Seufert: "Es ist hochkomplex, wo der Sport Andockpunkte finden kann. Liegt mein Fokus gerade auf meinem stressigen Arbeitsalltag mit klingelnden Telefonen und dreizehn Meetings am Tag, kann der Spaziergang oder die Laufrunde am Abend das Größte überhaupt sein, weil ich sie allein und in Stille verbringe. Liegt der Fokus auf einem Berufsleben, das mich null ausfüllt, kann der Sport der Ort sein, an dem ich Kontrolle habe, Ziele erreiche und mich unabhängig von anderen weiterentwickle. Dann ist es dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit, das einen großen Effekt haben wird. Und wieder andere profitieren am meisten von der sozialen Komponente, wenn sie sich jede Woche zum Volleyballspielen treffen."
Die Sportpsychologin rät dazu, unterschiedliche Dinge auszuprobieren und Sportarten auch mal eine zweite Chance zu geben: "Zum Beispiel Spinning-Kurse: Da denkt man direkt an stickige Räume und Menschen, die einen anbrüllen. Dabei gibt es mittlerweile total coole Kurse, wo man wie im Club Musik hört, Choreografien macht und gemeinsam ganz viel Spaß hat, das hat mit den klassischen Spinning-Kursen gar nichts mehr zu tun."
Wie motiviert man sich am besten zum Sport?
Sport tut also Körper und Psyche gleichermaßen gut. Bleibt nur noch die leidige Frage: Wie motiviert man sich am besten? Denn zwischen Arbeitsalltag, familiären Pflichten und Freizeit erweist es sich oft als schwierig, regelmäßig zum Sport zu gehen.
Motivationsprobleme und Antriebsschwierigkeiten kennt Sportpsychologin Kathin Seufert zur Genüge aus ihrer Arbeitspraxis. Aus ihrer Sicht ist die richtige Zielsetzung elementar: "Die SMART-Regel ist vielen bekannt, wird oft aber nicht ernst genommen. SMART steht für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Meiner Erfahrung nach scheitert es oft am A, also an der Attraktivität. Viele Menschen wissen zum Beispiel, dass sie 15 Kilo abnehmen wollen und dass das in einem Jahr realistisch und messbar umsetzbar ist. Oft fehlt aber die intrinsische Motivation: Warum ist das Ziel attraktiv für mich? Warum genau will ich das, was ist mein eigener Mehrwert, abseits von äußeren Einflüssen und Erwartungen?"
Was man zudem nicht aus den Augen verlieren sollte, ist der Spaß! Die Sportpsychologin rät, nach einer Sportsession kurz in die Reflexion zu gehen: "Hat es mir gutgetan? Warum hat es mir gutgetan? Welche Aspekte daran sind positiv, was fehlt vielleicht noch?"
Fazit: Sport beeinflusst uns nicht nur körperlich, sondern genauso psychisch. Und das sowohl bei kleinen Stimmungstiefs als auch diagnostizierten Depressionen. Es lohnt sich also, dich auf die Suche zu machen, welche Sportart dir individuell Spaß macht und guttut.
Erwähnte Quellen:
Neurologen und Psychater im Netz: Warum Bewegung der Psyche gut tut, 2022, aufgerufen am 23.4.2024 (Link)
Benson M. Hoffman et al.: Exercise and Pharmacotherapy in Patients With Major Depression: One-Year Follow-Up of the SMILE Study, in: PubMed Central, 2011; doi 10.1097/PSY.0b013e31820433a5
Elaheh Ranjbar t al.: Depression and Exercise: A Clinical Review and Management Guideline, in Asian Journal of Sports Medicine, 2015; doi 10.5812/asjsm.6(2)2015.24055
Ralf Brand et al.: When Pandemic Hits: Exercise Frequency and Subjective Well-Being During COVID-19 Pandemic, in Frontiers in Psychology, 2020; doi 10.3389/fpsyg.2020.570567
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