Multiple Sklerose: ein Erfahrungsbericht

Mutiple Sklerose
:
So lebt Samira glücklich mit MS

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Diagnose Mutiple Sklerose: Wie Samira es schafft, trotz unheilbarer Krankheit ein glückliches Leben zu führen
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Schicke Partys, halsbrecherische Arbeitstage, ständig auf Achse und große Pläne – das war das Leben von Samira Mousa, als sie 23 Jahre alt war. Doch gerade, als ihre Karriere so richtig losgehen sollte, fingen die Schmerzen in den Augen an. Die Augenärztin schickte sie zum Neurologen, sie solle sagen, es sei dringend. Der Neurologe vermutete Multiple Sklerose, eine unheilbare Autoimmunkrankheit.

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Nach der MS-Diagnose verdrängte Powerfrau Samira Mousa erst einmal ihre Krankheit

Der Verdacht bestätigte sich erst ein Jahr später, als noch einmal Symptome auftraten. "Ich taumelte wie benommen nach Hause", beschreibt Samira in ihrem Buch "Aktiv leben mit Multipler Sklerose".

Was folgte, war eine lange Zeit aus Ängsten, Verheimlichen und Rebellion gegen die Krankheit. Bis sie irgendwann davon genug hatte und beschloss, sich ihrem Körper und der Welt wieder zu öffnen: "Mir fiel wie Schuppen von den Augen, dass das, was die Diagnose psychisch mit mir angestellt hatte, das eigentliche Problem geworden war."

Dann fing sie an, ihr Leben umzustellen und in ihrem Blog „chronisch fabelhaft“ über ihren Alltag mit MS zu berichten. Wie sie es geschafft hat, heute freier, selbstbestimmter und glücklicher denn je zu leben, erzählt sie uns im Interview.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose, kurz MS, ist eine Autoimmunkrankheit, also eine Krankheit, bei der das Immunsystem fehlgeleitet ist und dem eigenen Körper schadet. Bei MS greift das Immunsystem die Außenschicht von Nervenbahnen an, die sich dann entzünden und zum Teil vernarben.

Vernarbtes Gewebe funktioniert aber nicht mehr so wie vorher, deshalb bekommen Betroffene neben akuten Entzündungssymptomen auch einige langfristige Beschwerden. Diese Entzündungen kommen in sogenannten Schüben, bei denen die Betroffenen unterschiedliche Symptome bekommen, zum Beispiel Schwindelgefühle, Augenprobleme oder Taubheitsgefühle.

Das besondere an der Krankheit ist, dass jeder Nerv von solchen Entzündungen betroffen sein kann und deshalb sowohl Symptome als auch Verlauf der Krankheit bei jedem anders sind. Deshalb nennt man sie manchmal auch die „Krankheit der tausend Gesichter“. Im Interview erzählt uns Samira, wie sie es zu diesem aktiven Leben mit MS gebracht hat:

Samira, wie hast du die Diagnose MS aufgenommen?

"Ich wusste erst einmal gar nicht, was MS genau ist, aber die Ärzte haben mich alle immer sehr betroffen angeschaut. Also wusste ich, dass das etwas Schlimmes sein muss. Ich habe dann erst einmal gegoogelt und bin auf Geschichten von dramatischen Verläufen und Pflegefällen gestoßen.

Bei all der Unsicherheit bekommt man im Krankenhaus auch manchmal das Gefühl, nur eine Nummer auf der Akte zu sein. Die Ärzte meinen das aber nicht böse, sondern haben oft einfach nicht viel Zeit. Oft bekommen Betroffene ein paar bunte Flyer in die Hand gedrückt, und dann ist man wieder sich und dem eigenen Gedankenkarussell überlassen.

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Nach der Diagnose MS kämpfte Samira Mousa mit Wut und Trauer

Ich habe erst einmal versucht, die Krankheit zu ignorieren und zu verdrängen, damit sie kein Teil von mir wird. Also weiterarbeiten, wenig drüber reden, so tun als wäre nichts. Ich wollte mir selbst und der Krankheit beweisen, dass ich am längeren Hebel sitze."

Was hat dich dazu gebracht, die Krankheit anzunehmen?

"Es gab diesen Moment, als ich im Urlaub auf Borneo vor einem Vulkan stand und eigentlich dort hochklettern wollte, mich aber nicht getraut habe. Nicht wegen der MS, sondern weil ich mich nach der Diagnose in eine Art Schonhaltung und Abwehr begeben hatte. Bis dahin habe ich meinen Körper ignoriert oder sogar als Feind betrachtet. Wegen dieser Einstellung war ich nicht fit genug für die Klettertour und nicht wegen der Krankheit.

Danach fing ich an, diese physische und psychische Schonhaltung abzulegen und Sport zu treiben. Das hat mich meinem Körper wieder nähergebracht und ich lernte, seine Bedürfnisse besser zu erkennen und auf ihn zu hören. Ich habe gespürt, dass mein Körper nicht mein Feind ist, denn eigentlich will er nur das Beste für mich: gesund, fit und glücklich sein, auch mit MS.

Außerdem habe ich angefangen, meine Einstellungen zu hinterfragen. Muss ich immer überall dabei sein und mich beweisen, wenn es dafür eigentlich sowieso nur selten Applaus gibt? Bringt es mir mehr, gegen die Krankheit zu kämpfen, oder geht es mir besser, wenn ich sie annehme?

Mein persönlicher Weg ist es geworden, mit meinem Körper und damit auch mit der MS zusammenzuarbeiten. Ich möchte fit und stark sein, damit ich so gut wie möglich mit der Krankheit leben kann. Dazu gehört auch, dass ich aktiv trainiert habe, mir und dem Leben mehr zu vertrauen. Ein liebevollerer Umgang mit mir selbst hat mir sehr geholfen – immerhin ist die MS ja schon eine Krankheit, bei der der Körper sich selbst schadet, da muss man nicht auch noch durch Selbstzweifel und Pessimismus einen draufsetzen."

Wie hast du es geschafft, positiver mit MS umzugehen?

"Dazu gehört zum einen Geduld. Ich habe ungefähr 5 Jahre gebraucht, um nach der Diagnose so selbstbestimmt und frei leben zu können, wie ich es jetzt tue. Ich war dafür viel allein und habe mich mit meinem Körper und mit mir selbst beschäftigt.

Außerdem habe ich einen Umgang mit meiner Trauer und meiner Wut gefunden. Denn man muss sich da nichts vormachen, wenn man eine chronische Krankheit diagnostiziert bekommt, ist man wütend oder traurig, und das ist auch okay. Wichtig ist nur, dass man da auch irgendwann wieder rauskommt. Was am Ende zählt, ist, dass man das macht, was einem langfristig guttut."

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Mit der Akzeptanz ihrer Krankheit begann für Samira sich wieder besser zu fühlen

Hast du Tipps, wie man mit der Wut oder der Trauer umgehen kann?

"Ganz wichtig ist, dass man diese Gefühle akzeptiert und ihnen Raum gibt. Die haben ja einen Sinn und sind das, was dein Kopf gerade braucht, um die Situation zu verarbeiten. Wenn man dazu bereit ist, sollte man dann aber auch irgendwann wieder da rauskommen und sich wieder dem Leben aussetzen. Was mir in solchen Momenten gut tut, ist:

  1. Emotionen rauslassen
    Dabei ist es egal, ob beim Weinen bei einem traurigen Film, durch emotionale Musik, durch körperliches Auspowern (wenn der Körper das denn kann), Stressbälle oder was auch immer. Aber diesen Gefühlen einen Raum zu geben, ist mir ganz wichtig.
  2. Gedanken ausformulieren
    Mir hilft es, meine Gedanken aufzuschreiben, dann verstehe ich sie selbst oft besser. Es kann auch helfen, mit anderen Menschen zu sprechen und ihnen (und sich selbst damit auch) zu erklären, was gerade eigentlich in einem vorgeht.
  3. Irgendwann aufraffen
    Ich merke, wenn mich meine eigene Trauer anfängt zu nerven, weil sie mich dann eher bremst, als wirklich meine Gefühle und Ängste zu verarbeiten. Ab dann sollte man aktiv werden, und sei es nur, zu duschen oder rauszugehen. Sich ein bisschen dem Leben aussetzen, bringt dann auf oft andere Gedanken.
  4. Eine professionelle Begleitung suchen
    Die Suche nach einer Psychotherapie halte ich für ganz essenziell, um mit einer Krankheit umzugehen. Sowohl Verhaltenstherapien als auch tiefenpsychologische Therapien können helfen, die Ursachen für einen MS-Schub zu reflektieren und besser auf sie zu reagieren. Wenn es dir Kraft gibt, können auch esoterische oder spirituelle Aktivitäten hilfreich sein, damit du mit dir selbst in Verbindung kommen kannst. Erlaubt ist, was gut tut und Hoffnung spendet, und da hat jeder seinen ganz eigenen Weg."

Was ist das Schwierigste für dich an Multipler Sklerose?

"Das Schwerste ist für mich, dass ich mich konstant mit mir selbst auseinandersetzen muss. Ich kann nicht einfach mal ein Wochenende Nachtschicht durchziehen, weil mein Körper dann mit Symptomen wie Taubheit oder Schwindel reagiert. Man hat nicht mehr die Möglichkeit, auch mal etwas zu machen, das eigentlich schlecht für den eigenen Körper ist.

Andererseits steckt darin auch das, was für mich das Schönste an MS ist: Ich kann gar nicht anders, als das zu machen, was mir und meinem Körper guttut. Sie stellt mich vor die Herausforderung, ganz genau zu schauen, was ich im Leben haben möchte und was nicht, was mich glücklich macht und was nicht."

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Sport hilft Samira, trotz Mutipler Sklerose glücklich zu leben

Was rätst du Menschen mit MS, um gut mit der Krankheit zu leben?

"Sowohl auf der körperlichen als auch auf der psychischen Ebene gibt es einiges, was Menschen mit MS tun können, um so erfüllt wie möglich zu leben. Das hängt natürlich in großem Maße davon ab, wie ihre Krankheit genau verläuft, denn nicht jede betroffene Person kann oder darf jeden Sport machen oder zieht Kraft aus den gleichen Dingen. Ein paar Dinge halte ich aber für besonders wichtig:

  • Selbstliebe
    Ich glaube, dass es sehr viel Kraft kostet, ständig gegen sich zu arbeiten, und ich selbst würde damit auch auf Dauer nicht glücklich werden. Was mir stattdessen mit am meisten geholfen hat, war zu akzeptieren, dass mein Körper zwar nicht perfekt, aber trotzdem faszinierend und ein Teil meiner selbst ist.
  • Stressfaktoren vermeiden
    Stress und Traumata begünstigen MS-Schübe, egal woher dieser Stress kommt oder ob Außenstehende ihn verstehen. Deshalb kann es sich auch günstig auf die Krankheit auswirken, wenn man Dinge verarbeitet, die einen belasten. Entweder indem man einen entspannteren Umgang mit ihnen findet oder indem man sie aus dem Leben streicht. Dabei kann eine Therapie übrigens sehr gut helfen.
  • Vertrauen ins Leben
    Ob mit einer Krankheit oder nicht, niemand weiß mit absoluter Sicherheit, was die Zukunft für ihn oder sie bereithält. Deshalb bringt es auch nichts, sich davor zu verstecken. Ich glaube außerdem, dass man Erkenntnisse und mentale Veränderungen genau dann bekommt, wenn man dazu bereit ist. Man muss sich nicht hetzen, nach einer solchen Diagnose ganz schnell wieder positiv im Leben zu stehen – so ein Umdenken kommt, wenn man dafür bereit ist.
  • Ein gesunder Alltag
    Sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten fit zu halten, sorgt dafür, dass man möglichst lange möglichst aktiv mit MS leben kann. Dazu gehört zum einen natürlich Bewegung, zum anderen aber auch eine bewusste Ernährung. Ganz wichtig ist es, mit dem Rauchen aufzuhören und den Konsum von Fleisch und Milchprodukten herunterzufahren. Gerade rotes oder gepökeltes Fleisch fördert nämlich Entzündungen, auch die bei einem MS-Schub.
  • Auf die innere Stimme hören
    Über die Belastungsgrenze hinaus aktiv sein, zum Beispiel auf Reisen oder bei der Arbeit, straft die MS schnell mit Symptomen ab. Dabei sagt einem die eigene Intuition meistens, was man alles verkraftet und was nicht, weil der Körper eigentlich weiß, was er braucht. Darauf sollte man immer hören, vor allem, wenn er gerade nach Ruhe oder einer Pause verlangt.“
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Es war ein langer Weg, bis Samira ihre Krankheit akzeptiert hat

Was rätst du Angehörigen, wie sie mit Menschen mit Multipler Sklerose umgehen sollten?

"Jeder Mensch ist anders, auch im Umgang mit so einer Krankheit. Und natürlich hängt die Stimmung der Person auch von der Tagesform ab. Deshalb halte ich es für das Beste, wenn man einfach offen fragt, was die Person gerade braucht, sei es Ruhe, Reden oder vielleicht Ablenkung. Ich glaube, damit ist man nie falsch beraten. Natürlich kann es auch sein, dass die Person gerade traurig oder wütend ist oder einfach allein sein will. Da Geduld und Liebe zu zeigen, kann ganz viel geben, auch wenn man das vielleicht nicht direkt spürt.

Ganz wichtig finde ich außerdem, dass man auch als Angehöriger nicht zu viel das Internet durchforstet und sich selbst oder die betroffene Person dann mit Horrorszenarien noch mehr belastet. Ich mag es persönlich außerdem nicht, wenn Leute alle meine Entscheidungen und Gefühle direkt auf meine MS schieben. Sie ist zwar ein Teil von mir, aber sie ist nicht alles!"

Stößt du mit deinem Optimismus manchmal auf Abwehr?

"Das passiert mir tatsächlich oft. Niemand hört gern, dass man sein eigenes Glück in der Hand hat, denn das würde ja auch heißen, dass man selber dafür verantwortlich ist. So eine Aussicht macht erst einmal Angst. Dabei bin ich selbst auch nicht immer nur positiv, dass das die meiste Zeit so ist, habe ich mir aber über lange Zeit erarbeitet. Allerdings hat jeder Einzelne andere Startbedingungen. Es gibt auch schwere MS-Verläufe, die mit ganz anderen Einschränkungen einhergehen als bei mir. Und es gibt auch ganz unterschiedliche Wege, damit klarzukommen, da gibt es kein richtig oder falsch.

Ich habe für mich entschieden, aktiv und positiv damit zu leben. Dazu habe ich einen leichten Krankheitsverlauf, und dass trifft leider nicht auf jeden Menschen zu. Dennoch freue ich mich, wenn mein Blog und mein Buch dazu beitragen, dass auch andere zu so einer Erkenntnis kommen. Eben dann, wenn sie bereit dazu sind und so, wie es sich in ihrem ganz individuellen Fall umsetzen lässt."

In ihrem Buch beschreibt Samira verschiedene Formen der Multiplen Sklerose, ihren Weg, mit ihr umzugehen und viele Tipps, die das Leben mit MS leichter, selbstbestimmter und glücklicher gestalten: Aktiv leben mit Multipler Sklerose.

Wenn auch du mit MS zu tun hast, als Betroffene oder Angehörige, kann Samiras Botschaft helfen: Nicht aufgeben, nicht zu viel von sich selbst verlangen, die Krankheit annehmen und das Leben genießen, so gut es geht!

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