In diesem Artikel
- Definition: Was ist Magersucht?
- Die verschiedenen Varianten der Magersucht
- Symptome und Diagnose: Die Anzeichen einer Magersucht
- Betroffene und Verlauf: Wen trifft die Magersucht?
- Ursachen: Woher kommt die Magersucht?
- Folgen: Wie die Magersucht Körper und Seele schadet
- Therapie: So wird Magersucht behandelt
- Hilfe: Wo können sich Betroffene und Angehörige beraten lassen?
Magersucht betrifft nur junge Mädchen? Von wegen! Zwar sind tatsächlich am häufigsten Frauen zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr von der Krankheit betroffen (rund 1 Prozent ist an Magersucht erkrankt). Doch auch Erwachsene, die voll im Leben stehen, leiden an der Essstörung. Sie sind die stillen Dunkelziffern. Einige verstecken die Erkrankung seit Jahren erfolgreich vor ihrem Umfeld und stehen unter enormem Leistungs- und Leidensdruck.
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Wer behauptet, dass falsche Schönheitsideale der Auslöser der psychischen Krankheit sind, betrachtet die Magersucht zu einseitig. Eine Essstörung ist sehr komplex, es sind viele verschiedene Faktoren, die die die Entstehung bedingen. Wir haben mit einem Experten gesprochen und nachgefragt, an welchen Merkmale Sie Magersucht erkennen, wo die Ursachen liegen und wie Betroffene und Angehörige sich Hilfe holen können.
Definition: Was ist Magersucht?
Die Anorexia nervosa, wie die Magersucht in der Fachsprache heißt, ist eine seelisch bedingte Essstörung. Sie ist von starker Kontrolle über das eigene Körpergewicht geprägt. Damit verbunden ist die Angst vor der Gewichtszunahme und Ablehnung anderer. „Die Gedankenwelt von Betroffenen ist permanent mit Essen beschäftigt“, erklärt Dr. Bernhard Osen, Chefarzt des Fachzentrums Psychosomatik in der Schön Klinik Bad Bramstedt. Er ist spezialisiert auf das Thema Essstörungen, Angststörungen und Zwangserkrankungen.
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Die verschiedenen Varianten der Magersucht
Die Essstörung verläuft bei allen Betroffenen unterschiedlich, obwohl viele die gängigsten Symptome gemeinsam haben. Mediziner unterscheiden folgende Formen der Magersucht:
Restriktive Anorexie oder Non-Purging-Typ: Diese Form der Erkrankung ist durch exzessives Hungern gekennzeichnet; oft ergänzt durch starken Bewegungsdrang
Viele Magersüchtige kämpften bereits in der Jugend mit der Essstörung und erleiden im Erwachsenenalter einen Rückfall
Purging-Typ: Diese Ausprägung wird auch bulimische Form der Magersucht genannt. Dabei kommt es regelmäßig zu Fressanfällen, die die Betroffenen durch Erbrechen oder Abführmittel ungeschehen machen möchten. Anders als bei Frauen, die an Bulimie erkrankt sind, liegt das Körpergewicht beim Purging-Typ mindestens 15 Prozent unter dem Normalgewicht
Symptome und Diagnose: Die Anzeichen einer Magersucht
Typisches und eindeutigstes Erkennungsmerkmal für die Anorexia nervosa ist ein starker Gewichtsverlust, der bewusst herbeigeführt wird. Die strenge Kontrolle von Essen und dem Gewicht bestimmen Denken und Handeln der Betroffenen. Magersüchtige finden sich häufig in den folgenden individuell ausgeprägten Beschreibungen oder Handlungen wieder:
- Ich spüre meinen Körper nicht.
- Mein Körper arbeitet gegen mich, ich muss ihn bekämpfen.
- Ich wiege mich sehr häufig – oft führe ich dabei ein bestimmtes Ritual durch.
- Ich sehe immer Problemzonen an meinem Körper.
- Ich habe panische Angst zuzunehmen.
- Mein Kopf hat die Kontrolle über mein Leben.
- Ich denke viele Stunden über Essen und Nicht-Essen nach.
- Ich protokolliere mein Essen und den Sport.
- Ich habe Ticks und Zwänge (zum Beispiel Wasch- oder Kontrollzwang).
- Ich esse nach bestimmten Regel (zum Beispiel sehr langsam oder in Reihenfolge).
- Die Auswahl meiner verzehrten Lebensmittel ist einseitig.
- Ich esse und trinke nur kalorien-, fettarme und zuckerfreie Lebensmittel.
- Ich leider häufig unter depressiven Verstimmungen.
- Ich mache exzessiv Sport oder erledige viel im Stehen.
- Ich überlege oft, wie ich nebenbei Kalorien verbrennen kann.
- Ich täusche anderen gegenüber das Essen vor.
- Ich koche für andere und animiere sie zu essen.
- Ich sammle Kochbücher und Küchenutensilien oder schaue Kochshows.
- Ich tue selten etwas, das mich entspannt oder Spaß macht.
- Ich ziehe mich von Familienmitgliedern zurück.
- Ich fühle mich nicht krank oder zu dünn.
Die Anzeichen müssen nicht zwingend auf eine Magersucht hinweisen, sind aber – vor allem, wenn mehrere gleichzeitig auftreten – Warnsignale für einen unnatürlichen Bezug zum eigenen Körper und dem Essen. Sie sollten in jedem Fall als Hinweisgeber ernst genommen und weiter beobachtet werden. Zur Diagnose nennt die Internationale Klassifikation der Krankheiten ICD-10 darüber hinaus die folgenden Punkte als Merkmale der Magersucht:
Gewichtsverlust: Eine Gewichtsabnahme wird von den Betroffenen selbst herbeigeführt. Dies geschieht durch Vermeidung hochkalorischer Speisen, übertriebener körperlicher Aktivität, absichtlichem Erbrechen, Abführen und/oder den Gebrauch von Appetitzüglern oder Entwässerungsmitteln.
BMI unter 17,5: Als auffällig gilt, wenn das tatsächliche Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem BMI (Body-Mass-Index) von 17,5 liegt.
Körperschemata-Störung: Betroffene legen ihre individuelle Gewichtsschwelle sehr tief. Sie sind von dauernder Angst vorm Zunehmen getrieben. Sie fühlen sich auch nach einer starken Gewichtsabnahme noch zu dick und fokussieren sich auf nicht vorhandene Problemzonen.
Endokrine Störungen: Beim Unterschreiten einer gewissen Gewichtsschwelle kommt es häufig zu einer gestörten Hormonregulation. Das kann zum Ausbleiben der Regelblutung und zum Libidoverlust führen.
Betroffene und Verlauf: Wen trifft die Magersucht?
Statistisch gesehen wird jede zweihundertste Frau in Deutschland in ihrem Leben magersüchtig. Am häufigsten leiden Mädchen und Frauen zwischen 14 und 25 Jahren an der Essstörung. Das Alter der Erkrankten sank in den letzten Jahren deutlich. "In den 70er-Jahren lag das Durchschnittsalter für den Beginn der Erkrankung noch bei etwa 20 Jahren. In den 90er Jahren sank es auf 15 Jahre. Heute liegt es schon bei 14 Jahren", so Osen.
In den 70er-Jahren lag das Durchschnittsalter Magersüchtiger bei etwa 20 Jahren. Heute liegt es bei 14 Jahren
"Es gibt eine interessante Untersuchung aus Australien. Demnach haben bereits 47 Prozent der 6-jährigen Mädchen schon einmal dran gedacht, eine Diät zu machen. Die Mädchen hatten die Einstellung, dass man beliebter sei, wenn man schlank ist. Man hat es auf den Beginn der Schulpflicht zurückgeführt, weil die Kinder dann anfangen, sich mit Mitschülern zu vergleichen", so Osen. "Der Gedanke an eine Diät ist noch keine Essstörung, aber es zeigt, dass das Körperbewusstsein und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper schon in diesem Alter Thema ist", so der Experte.
Aber auch erwachsene Frauen sind von der Krankheit betroffen. In den Boulevardblättern wird oft von streichholzdünnen Promis berichtet. Abseits der Medien wird jedoch selten über das Thema gesprochen. Dabei leiden Frauen zwischen 30 und 50 Jahren häufiger an Magersucht, als angenommen. Eine US-Studie der School of Medicine at Mount Sinai in New York mit 5700 befragten Frauen im Alter von 40 bis 60 Jahren ergab, das knapp 4 Prozent zum Zeitpunkt der Studie an einer Essstörung litten. Rund 15 Prozent gaben an, im Laufe ihres Lebens einmal essgestört gewesen zu sein.
Allerdings beginnt die Krankheit meist nicht erst im späten Lebensabschnitt. Viele kämpften bereits in der Jugend mit der Essstörung und erleiden im Erwachsenenalter einen Rückfall. Obwohl die Krankheit sehr gut behandelbar ist, liegt die Rückfallquote nach einer erfolgreichen Therapie bei 50 Prozent. Bei vielen Rückfallpatientinnen war die Krankheit aufgrund der Familienplanung oder der beruflichen Karriere eine Weile in den Hintergrund gerückt. Wenn sie jedoch im Laufe des Lebens mit schweren Situationen oder einem Schicksalsschlag konfrontiert werden, hat die Krankheit gute Karten, wieder mehr Kontrolle über das Leben zu bekommen.
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Ursachen: Woher kommt die Magersucht?
"Der Ausgangspunkt einer Magersucht ist eine starke Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, die häufig auf dem Boden eines emotionalen Problems entsteht", erklärt Dr. Osen. Einen einzelnen Grund, der dahintersteckt, lässt sich allerdings nicht generell bestimmen. Es gibt aber Faktoren, die die Entstehung einer Magersucht bedingen.
Zu den Risikofaktoren gehören:
Genetische Veranlagung: "Magersucht tritt familiär gehäuft auf. Das heißt: Die Tochter einer magersüchtigen Mutter hat ein mehrfach erhöhtes Risiko selbst eine Essstörung zu entwickeln", so Dr. Osen. "Es gibt eine genetische Veranlagung (Vulnerabilität), die empfindlicher dafür macht, eine Essstörung zu entwickeln", erklärt der Experte. "Aber nicht jeder, der diese Voraussetzung hat, muss die Essstörung auch entwickeln. Vor allem, wenn man viele Möglichkeiten hat, mit emotionalen Belastungen alternativ umzugehen", erklärt Osen.
Persönlichkeit: Frauen, die von einer Anorexie betroffen sind, haben in der Regel ein niedriges Selbstwertgefühl und koppeln dieses an Figur und Aussehen. Sie suchen darüber die Anerkennung anderer und gehen Konflikten aus dem Weg. Häufig entwickelt sich die Magersucht in der Pubertät. Die Findung der eigenen Identität führt bei betroffenen Mädchen häufig zu einer Überforderung und einem Gefühl der Unsicherheit. Dazu kommt, dass Betroffene häufig sehr perfektionistisch sind. „Ohne Perfektionismus ist eine Magersucht fast unmöglich. Es verlangt sehr viel Disziplin“, so Osen.
Familiäre Einflüsse: Magersüchtige sind nicht selten in einem Umfeld groß geworden, in dem Leistung oder Disziplin von zentraler Bedeutung sind. Konflikte und Emotionen wurden selten angesprochen. Häufig spielt auch Konkurrenz gegenüber Geschwistern eine Rolle.
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Psychische Konflikte und Traumata: Schlimme Erlebnisse wie zum Beispiel Missbrauch, eine Vergewaltigung, der Verlust eines Angehörigen oder eine schwierige Familiensituation können die Essstörung ebenfalls bedingen
Lernerfahrungen: Bekommt eine Magersüchtige auf ihren Gewichtsverlust positive Rückmeldungen, lernt sie möglicherweise daraus und versucht durch eine erneute Reduktion des Körpergewichts weitere anerkennende Reaktionen zu ergattern
Gesellschaftliches Schlankheitsideal: Besonders junge Frauen, die ihre Identität als Frau noch entwickeln müssen, können durch das aktuelle Schönheitsideal verunsichert werden. Schlanksein wird in den Medien häufig als Garant für Erfolg in allen Lebensbereichen propagiert. Damit das Schönheitsideal oder der Vergleich mit gleichaltrigen zu einer Beeinflussung führt, müssen aber in der Regel andere persönliche, psychologische oder genetische Faktoren vorliegen
Folgen: Wie die Magersucht Körper und Seele schadet
Welche Folgeschäden zu erwarten sind, richtet sich danach, in welchem Alter die Magersucht beginnt und wie lange sie andauert. Das sind die häufigsten Auswirkungen:
Die körperlichen Folgen der Magersucht:
- Herz-Kreislauf-Störungen: Blutdruck, Puls und Körpertemperatur sinken
- Wassereinlagerungen
- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
Am häufigsten leiden Mädchen und Frauen zwischen 14 und 25 Jahren an der Essstörung
- trockene Haut und Haare (aufgrund mangelnder Nährstoffversorgung)
- erhöhte Reizbarkeit
- ausbleibende Menstruation (bei Einnahme der Pille tritt die Regel weiter auf)
- Muskelschwäche
- Wachstumsstörungen (bei Kindern und Jugendlichen)
- Osteoporose (bei langer Krankheitsdauer)
- Magen- und Darmprobleme
Die meisten organischen Folgen sind durch eine Gewichtszunahme während einer Therapie wieder rückgängig zu machen.
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Die seelischen Folgen der Magersucht
- Depressive Verstimmungen: Die Stimmung der Betroffenen ist gedrückt. Sie vermeiden Aktivitäten, die Spaß machen. Sie entwickeln Schuldgefühle, das Selbstwertgefühl sinkt, Hoffnungslosigkeit tritt auf
- Ängste: Betroffene fürchten von anderen beurteilt oder abgelehnt zu werden. Trennungsängste und Panikattacken können auftreten
- Zwangshandlungen: Betroffene grübeln ständig übers Essen und Nicht-Essen und entwickeln krankhafte Essensrituale. Häufig kommt auch ein übertriebener Drang zur Reinlichkeit oder Sparzwang hinzu
Therapie: So wird Magersucht behandelt
Bei der Behandlung von Magersucht spielen psychotherapeutische Verfahren eine entscheidende Rolle. Die Therapie erfolgt je nach Diagnose stationär, teilstationär, tagklinisch oder ambulant. Ziel ist, dass die Patientinnen nicht nur ihr Gewicht normalisieren, sondern auch zu einem normalen Umgang mit Essen zurückfinden und die Auslöser der Krankheit und ihre Begleiterscheinungen angehen. Sie lernen mit Ängsten umzugehen und das Selbstwertgefühl zu verbessern.
Der eigene Körper soll wieder angenommen werden und gesehen werden, wie er wirklich ist. Das ist nicht ganz einfach: "Die Schwierigkeit ist, das Programm, das sich im Hirn einer Magersüchtigen etabliert hat, umzuschreiben. Die Therapie muss auch hirnphysiologische Veränderungen bewirken. Man kann an eine Essstörung nicht mit dem Verstand herangehen. Wenn man einer Magersüchtigen sagt, sie soll einfach essen, hilft man ihr nicht. Im Gegenteil: man macht ihr Angst", erklärt der Experte.
Hilfe: Wo können sich Betroffene und Angehörige beraten lassen?
Der erste Schritt aus der Krankheit ist getan, sobald sich Betroffene die Essstörung eingestehen. Da Körperkontrolle Magersüchtigen sehr wichtig ist, fällt es ihnen jedoch nicht leicht, die Krankheit aufzugeben, da sie ihnen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung vermittelt. Um die Angst zu überwinden, sollten sich Betroffene Unterstützung von einer Freundin oder einem Familienmitglied holen. Die Vertrauensperson kann helfen, die Magersucht anzugehen. Beratungsstellen informieren mit Rat und Tat, wo und wie die richtige Behandlung erfolgen kann.
Hier können sich Betroffene und Angehörige Hilfe holen:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
ANAD e.V. Versorgungszentrum Essstörungen
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