Ob Bach oder Beyonce – Musik macht etwas mit uns. Sie bewegt und berührt uns ganz tief drinnen. Das ist sogar physisch messbar, weil sich die Herzfrequenz und die Leitfähigkeit der Haut verändern. Wir alle haben vermutlich Playlisten für eine bestimmte Stimmung: Eine Liebeskummer-Playlist oder eine Sammlung mit "Favourite Party-Songs".
Aber eine Playlist für mehr Gelassenheit fehlt bisher noch, mir zumindest. Welche Songs sind es wohl, die laut Wissenschaft die Gemüter beruhigen? Ich habe die von Amazon-Music-Experten zusammengestellte Gelassenheits-Playlist auf die Probe gestellt – wo ginge das besser als in einem verspäteten Ersatzzug?
Noch knapp 3 Stunden bis Hamburg. Mein Sitznachbar schnaubt wütend nach jeder Ansage über die knisternden Lautsprecher. Manche beginnen verärgert vor sich hin zu murmeln: Das gehe ja gar nicht, nun würden sie ihre Anschlüsse verpassen. Gelassen ist hier keiner mehr, auch ich nicht – und es gibt keine Rettung. Außer vielleicht: diese Playlist…
Her mit den heilenden Frequenzen!
Ich setze meine Noise-Cancelling-Kopfhörer auf und drücke „Play“. Music on, world off! Schon der erste Song entführt mich in eine andere Welt: „Spend some time away, getting ready for the day you're born again, spend some time alone“ singt Mac DeMarco in "Chambers of Reflection". Ich schließe die Augen und vergesse, die wütende Meute um mich herum.
Die rhythmischen Elemente des Songs wie Drums und Percussions sind gleichmäßig und nicht zu kräftig. Meine Atmung wird tiefer. Menschen setzen seit jeher auf die „heilenden Kräfte“ von Trommelmusik, um sich in eine Trance zu versetzen. In der Musiktherapie weiß man heute, dass wir in diesem Schwebezustand zwischen Entspannung und Konzentration neue Wege finden, um psychische Blockaden zu überwinden.

Warum hören wir traurige Musik, wenn wir traurig sind?
Die Liste ist ausgefeilt. Töne der meisten Songs fließen im sogenannten Legato weich ineinander über, und es gibt keine großen Sprünge in der Lautstärke. Auch die Melodien haben keine abrupten Übergänge, da das oft besonders intensiv wirkt – wie wenn auf der Tanzfläche im Club der “Beat droppt”. Die Songtexte hingegen sind sehr emotional, oft sogar traurig. Ist das nicht kontraproduktiv?
Nicht unbedingt. Musik beeinflusst unsere Stimmung. Eine kanadische Studie mit dem Titel “misery loves company” zeigt, dass wir paradoxerweise nicht unbedingt fröhliche Songs wählen, um unsere Laune zu heben. Im Gegenteil: Wenn wir traurig sind, fällt die Wahl meist auf traurige Lieder und auf aggressive Musik, wenn wir wütend sind. Warum?
Eine psychologische Studie der Freien Universität Berlin legt nahe, dass es uns hilft, mit negativen Gefühlen umzugehen. Außerdem zeigte 2015 eine amerikanische Review, dass traurige Musik als besonders ästhetisch, komplex und schön wahrgenommen wird, da sie existenzielle Themen behandelt und Gänsehautmomente auslöst.

Außerdem gibt uns Musik mit negativen Emotionen in schwierigen Situationen das Gefühl, verstanden zu werden. Beim Song „Wenn ich angekommen bin“ von Madeline Juno überlege ich kurz, ob ich die Kopfhörer meinem schnaubenden Sitznachbarn rüberreichen sollte und muss schmunzeln. Keine gute Idee: Wenn wir wütend sind, erscheint uns Experten zufolge ein ruhiger, fröhlicher Song sehr wahrscheinlich unpassend und sogar nervig, da er zu stark von den eigenen Gefühlen abweicht.
Welche Musik entspannt am besten?
Die rhythmischen Muster der Songs sind eingängig – Achtung: Ohrwurmpotenzial! Im Fokus der Playlist stehen Tracks, die beruhigen, selbst wenn sie vielleicht nicht unbedingt das Best-Of unseres Lieblingskünstlers sind. Solche Tracks, die auch in der Forschung zur Angstbekämpfung einen positiven Einfluss gezeigt haben, zeichnen sich durch ein vergleichsweise langsames Tempo aus.
Allgemein empfiehlt sich ruhige Musik, um Stress zu lindern. Tatsächlich zeigte eine 2013 im Fachmagazin „The Arts in Psychotherapy“ veröffentlichte Studie, dass es jedoch mindestens ebenso wichtig ist, ob uns die Musik gefällt. Denn selbst Songs, die energetisch und aktivierend sind, reduzieren Stress mehr als solche, die wir einfach nicht mögen.
Zum Glück finden sich auf der Amazon-Playlist ein paar meiner Lieblingskünstler wie Frank Ocean, Drake oder "Waterflow" von Klyne. Und so summe ich, als der Zug im Hamburger Hauptbahnhof einfährt, leise vor mich hin: „Flow water flow, our worries go“.