Wer in jüngster Zeit eine alte Folge der Serie "Friends" sieht, bekommt das seltsame Gefühl, aus der Zeit zu fallen. Es sind gar nicht mal nur die Witze über dicke Menschen, der beschämende Mangel an Diversität bei der Besetzung (alle weiß!) oder das ständige Geplänkel darüber, dass die männlichen Charaktere (und ausschließlich die männlichen Charaktere) Pornos schauen. Es ist das eigentliche Konzept, das archaisch wirkt: Freunde. Und zwar gleich 6 von ihnen, die sich täglich treffen und gemeinsam etwas unternehmen.
Hand aufs Herz: Viele von uns hätten heute Mühe, überhaupt mal 5 Freundinnen für ein Geburtstagsessen zusammenzutrommeln, geschweige denn sie jeden Tag oder auch nur wöchentlich zu sehen. Man könnte es darauf schieben, dass der Freundeskreis weiter verstreut ist oder dass die Zeitpläne kollidieren. Aber ganz ehrlich? Viele Menschen haben einfach keine Energie mehr, solche Treffen zu organisieren. Und genau um dieses Gefühl soll es hier gehen.
Die Freundschaft steckt in der Rezession
Es gibt einen Begriff für dieses Gefühl: die Rezession der Freundschaft. Der Begriff wurde 2021 geprägt, als der American Perspectives Survey feststellte, dass 12 Prozent der Amerikaner:innen angaben, keine Freundschaften zu haben – ein Trend, der eine Vervierfachung seit 1990 bedeutete. Besonders betroffen waren 18- bis 29-jährige Frauen, von denen 16 Prozent angaben, keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu den meisten ihrer sozialen Kontakte zu haben.
Jetzt untersuchen weitere Experten diesen Wandel. Der im März veröffentlichte Bericht Mental State Of The World in 2022 von Sapien Labs, an dem mehr als 407 000 Personen aus 64 Ländern teilnahmen, stellte fest, dass das soziale Selbst der Menschen in den letzten 12 Monaten stark abgenommen hat. Diese Kennzahl bezieht sich auf die Fähigkeit, bedeutungsvolle Freundschaften und Beziehungen zu pflegen, und auch hier waren es die jungen Menschen, die am meisten verloren haben: 18- bis 24-Jährige haben weniger enge Freunde, genau wie Menschen über 75 Jahre. Was ist also passiert?
Warum schotten sich alle immer noch so ab?
Die Diplom-Psychologin Kimberley Wilson macht unterschiedliche Dinge dafür verantwortlich, dass die Freundschaften schwinden – und dies schon lange vor der Coronapandemie. Immer mehr Menschen ziehen auf der Suche nach einem Job in andere Städte und haben dadurch weniger Kontakt zu ihren langjährigen Freunden. Bei stetig steigenden Lebenshaltungskosten, langen Arbeitszeiten oder Nebenjobs bleibt wenig Zeit für die Pflege von Freundschaften.
Die Gesundheitspsychologin Sula Windgassen stimmt dem zu, sieht aber auch existenzielle Punkte als ausschlaggebend. In ihrer Arbeit untersucht sie, wie soziale Unterstützung Stress abmildern kann. Sie glaubt, dass das Schrumpfen von Freundschaften das Nebenprodukt einer Gesellschaft ist, die sich unverhältnismäßig stark auf den individuellen Erfolg konzentriert: "Wir leben in einem kapitalistischen System, in dem der Schwerpunkt auf dem Individuum liegt, um sich selbst zu verbessern und sich auf seine eigenen Leistungen zu konzentrieren. Dies führt dazu, dass wir uns fühlen, als würden wir in Silos arbeiten." Das Gefühl der Zugehörigkeit wurde ausgehöhlt.

50 Prozent erhöht ist die Wahrscheinlichkeit länger zu leben, wenn man gute soziale Bindungen pflegt, statt sie zu reduzieren.
Dann kam eine globale Pandemie und mit ihr eine gesetzlich erzwungene Schrumpfung des sozialen Netzes, wodurch oft alle über die unmittelbare Familie hinausgehenden Personen abgetrennt wurden. Für manche war es schwierig, eine einmal pausierte Verbindung wieder aufleben zu lassen – ein kulturelles Phänomen, das als Freundschaftsschwund bezeichnet wird, vor allem dann, wenn Lebensveränderungen wie die Mutterschaft das Problem noch verstärken.
Wissenschaftliche Daten ergaben, dass 55 Prozent der schwangeren Frauen, 70 Prozent der Mütter und 73 Prozent der Menschen, die ein Kind zu bekommen versuchen, angaben, sich während oder nach der Pandemie einsamer als je zuvor gefühlt zu haben. In anderen Lebensabschnitten, die einst die entscheidende Infrastruktur für den Aufbau von Freundschaften boten (wie etwa der Beginn eines Studiums oder einer neuen Arbeitsstelle), wurden plötzlich weniger gesellige Aktivitäten durchgeführt – und vieles läuft bis heute vor allem online.
Alles einfach nur reine Bequemlichkeit?
Die Liste der sozialen Aktivitäten, die wir jetzt lieber allein ausüben, ist lang. An Stelle eines Shopping-Trips mit Freundinnen ist es einfacher, online einzukaufen. Eigentlich wollten auch alle nach der Pandemie wieder in ein Fitness-Studio gehen, aber es ist eben auch sehr bequem, zu Hause zu trainieren. (Das sind übrigens die besten Übungen fürs Home Gym). Natürlich ist klar, dass es Spaß machen würde, mehr mit Freundinnen zu unternehmen. Aber bis das Hin und Her der Terminfindung und Planung erledigt ist, ist die Lust häufig schon vergangen.
Doch es ist nicht nur bequemer, allein einzukaufen und zu schwitzen; eine Sache, die durch die Pandemie ebenfalls vereinfacht wurde, ist das Neinsagen. Früher konnte man sich nur schwer davor drücken, auf die Party eines Freundes zu gehen. Schließlich drohten Unverständnis und quälende Schuldgefühle. Wohingegen eine Nachricht mit "Ich fühle mich nicht gut" schon als perfekte Ausrede durchging. Sowieso… Nein zu sagen ist nicht gerade verankert in der weiblichen DNA. Aber die ungewöhnlichen Zeiten haben auch ungewöhnliche Seiten zum Vorschein gebracht. Neinsagen kann sehr gesund sein. Abgrenzung und der Fokus auf die eigenen Bedürfnisse sind schließlich nie verkehrt. Trotzdem können sich die Folgen der Minimierung von sozialen Interaktionen auch sehr negativ bemerkbar machen.
Freundschaftstherapie ist voll im Trend
Die Psychotherapeutin Charlotte Fox Weber erklärte kürzlich in einem Interview, dass immer mehr Menschen wegen Einsamkeit und Problemen mit Freundschaften zu ihr kommen. Einige bitten sogar um eine Freundschaftstherapie – ein Äquivalent zur Paartherapie, aber eben unter Freundinnen. Der Grund dafür, so erklärt sie, sei, dass die Menschen jetzt erkennen, dass Freundschaften ihnen etwas geben, was romantische Beziehungen nicht haben.
Für manche kann die weibliche Freundschaft sogar die romantische Bindung ersetzen. Das sagt Dr. Anna Machin, Evolutionsanthropologin und Autorin von "Why We Love: The New Science Behind Our Closest Relationships", die an einer Studie der University of Oxford mitgearbeitet hat, in der die Vorteile einer romantischen Beziehung mit denen einer guten Freundschaft verglichen wurden. Sie erklärt: "Was wir herausgefunden haben, ist, dass Frauen mit ihren besten Freundinnen emotional intimer sind als mit ihren Liebhabern. Denn wenn man mit Freundinnen interagiert, wird eine wunderbare Flut von neurochemischen Substanzen ausgeschüttet, darunter Dopamin und Beta-Endorphine." Letzteres ist ein natürliches körpereigenes Opiat. Es kann dazu führen, dass man sich euphorisch, warm, zufrieden und zutiefst mit einem Menschen verbunden – ja, sogar süchtig nach ihm oder ihr – fühlt.

Versuche es doch mal mit einer neuen Sportart, um neue Kontakte zu knüpfen
Aber die Vorteile starker sozialer Bindungen beschränken sich nicht nur auf diese besondere Dosis Wohlfühlhormone. Wenn es darum geht, ein langes und gesundes Leben zu führen, hat eine Metaanalyse ergeben, dass starke soziale Beziehungen wichtiger sind als ein gesundes Gewicht und ihr gesundheitlicher Impact sogar vergleichbar damit ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Aber Entwarnung für alle Introvertierten da draußen: Ihr könnt euch entspannen! Das Ganze erfordert nicht, sich ständig mit unzähligen Menschen zu umgeben. Eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab vielmehr, dass 3 enge Freunde ausreichen, um für das Gefühl von Erfüllung zu sorgen und so zu einem gesunden Leben beizutragen.
Das alles sind also durchaus überzeugende Argumente dafür, Freundschaften genauso bewusst zu pflegen wie Fitness, Ernährung und Finanzen. Aber vielleicht bist du in deinem Rückzugsverhalten auch gefangen. Wie kommst du also aus der Rezession denn nun wieder raus? Je mehr du im sozialen Bereich aus der Übung bist, desto mehr negative Gedanken lösen mögliche Interaktionen in dir aus. Du siehst Barrieren, hast Angst vor Zurückweisung. Was hilft und motiviert, ist die Erinnerung an das warme Gefühl, das entsteht, wenn ein eingeschlafener Kontakt wieder zum Leben erweckt wird. Das ist unbezahlbar.
Was kannst du tun, um Freunde (zurück) zu gewinnen?
Einen Zaubertrick gibt es nicht, aber ein paar kleine Tricks und Hilfsmittel:
- Denke wie ein Kind: Wie wir als Kinder Freundschaften geknüpft haben? Durch wiederholte Begegnungen und geteilte Verletzlichkeit. Versuche beispielsweise, jeden Sonntag um 10 Uhr schwimmen zu gehen und so neue Menschen kennenzulernen – oder bekannte zu treffen.
- Sei geduldig: Die Forschung zeigt, dass es etwa 34 Stunden gemeinsame Zeit braucht, bis aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft wird.
- Schaffe Nähe: Wissenschaftler haben MRTScans von Geschichtenerzählern und Zuhörern überwacht und festgestellt, dass sich die Gehirne während des Erzählens unbewusst verbinden.
- Apps helfen: Dating per App kennen wir. Aber man kann online auch neue Freunde finden, mit Apps wie Bumble BFF und Meetup.
- Smalltalk: Studien zeigen, dass sich schon ein kleiner Plausch im Wartezimmer positiv auswirken kann.
Die Rezession der Freundschaft begann schon vor der Corona-Pandemie, wurde dadurch jedoch verstärkt. Für viele ist es schwierig und auch unbequem, Freundschaften wiederzubeleben. Doch soziale Beziehungen sind wichtig für deine Gesundheit! Versuche also, zu retten, was zu retten ist, oder probiere, neue Menschen kennenzulernen. Du bist nicht allein, du musst dich nur bemerkbar machen!