Nachhaltig Reisen ohne schlechtes Gewissen

Nachhaltig reisen
Tipps zum Reisen ohne schlechtes Gewissen

Zuletzt aktualisiert am 12.11.2021
Nachhaltig Reisen ohne schlechtes Gewissen
Foto: Getty Images

Die grünste aller Reisen führt nicht in die Ferne, keine 10 000 Kilometer weit weg. Sie dauert keine 3 bis 6 Wochen, braucht kein Flugzeug, keinen Zug, kein Auto. Die grünste aller Reisen beginnt an der eigenen Haustür. Sich einfach die Schuhe anziehen, losgehen und die nächste Nähe als größte Weite erleben, kann so spannend wie unterhaltsam, befreiend oder auch erhellend sein. Es ist doch so: Die Gegend um die eigene Wohnung kennen wir oft weniger gut als ferne Länder. Ferne bringt jedoch immer auch ein Versprechen mit: das Andere, die Abwechslung, vielleicht gar – obwohl davon bei den meisten Reisen heute nicht mehr die Rede sein kann – das Abenteuer. Ansichtssache. Und mehr als eine Frage der inneren Haltung: unserer Bereitschaft nämlich, sich auf Neues einzulassen, dem vermeintlich Bekannten anders zu begegnen und sich so in eineinhalb Stunden weiter weg begeben zu können von dem Einerlei des Gewohnten und des Gewöhnlichen, als irgendeine Flugreise das schaffen könnte. Die Frage: "Was ist Reisen?", hat der französische Schriftsteller und Nobelpreisträger Anatole France (1844–1924) bereits zu Zeiten gestellt, als von Pauschalurlauben und All Inclusive noch keine Rede war: "Ein Ortswechsel? Keineswegs! Beim Reisen wechselt man seine Meinungen und Vorurteile."

Wohin geht die Reise?

Das geht in Augsburg so gut wie in Albanien und im Harz nicht weniger als in Honduras. "Die weitesten Reisen", meinte der polnischbritische Schriftsteller Joseph Conrad dazu, "unternimmt man mit dem Kopf." Während der US-amerikanische Essayist Edward Dahlberg unkte: "Wer feststellt, dass sein Leben wertlos ist, der begeht entweder Selbstmord oder geht auf Reisen." Beides, so ließe sich weiter unken, wirkt tödlich. Das muss in dem einen Fall wohl nicht erläutert werden, in dem anderen – dem mit dem Reisen – schon. Das nämlich bringt uns nicht unmittelbar um, auf Dauer aber schon. Denn es trägt dazu bei, die Welt an ihre Belastungsgrenze und über diese hinaus zu führen. Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger brachte das 1958 in einem Essay auf den Punkt: "Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet." Das gilt heute mehr als noch gegen Ende der 1950er, als man jährlich um die 30 Millionen Reiseankünfte weltweit verzeichnete. Derzeit sind es um die 1,5 Milliarden, und bis 2030 sagt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Verdopplung voraus. Der Massentourismus sei zu einer der "wichtigsten Industrien des Jahrhunderts" geworden, schreibt auch der italienische Autor Marco d’Eramo, der sich in seinem Buch "Die Welt im Selfie" (2018) dem Thema widmet. Untertitel des Werkes: "Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters." In Deutschland erbringt die Reisebranche pro Jahr eine Bruttowertschöpfung, die der tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung auf knapp 100 Milliarden Euro beziffert. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen entstehen aber auch etwa 5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen direkt durch den Tourismus – das sind Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Tonnen. Andere Quellen, etwa eine australische Studie, gehen hier gar von 8 Prozent aus. Davon entfallen 40 Prozent auf Flugreisen und 32 Prozent auf den Autoverkehr, 21 Prozent auf die Unterkünfte und 3 Prozent auf die Reisen mit Bus und Bahn.

Wie vielfältig ist die Belastung?

Die Entfernung zum Reiseziel und die Wahl des Verkehrsmittels haben enormen Einfluss. Ein Flug von Deutschland auf die Kanaren und zurück hat einen Ausstoß von ungefähr 1800 Kilogramm CO2 zum Resultat. Pro Person, wohlgemerkt. Ein vollbesetzter Mittelklassewagen könnte einmal um die ganze Welt fahren, ohne dabei mehr Kohlendioxid auszustoßen. Hinzu kommen weitere Effekte des Verkehrs auf Umwelt und Klima. Geht man wie der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) davon aus, dass diese etwa 2- bis 5-mal höher liegen als die alleinige Wirkung des ausgestoßenen CO2, wird deutlich, dass Massentourismus für die Gesundheit des Planeten ein verheerender Virus ist. Die Belastungen sind vielfältig und beschränken sich nicht alleine auf den Ausstoß von Treibhausgasen: Bausünden, Verkehrs-Overkill, Vernichtung von Natur, Berge von Müll (auf den Malediven alleine 140 Tonnen an einem einzigen Tag), Lärm, Ausbeutung von Arbeitskräften, Verzerrung sozialer und ökonomischer Gefüge vor Ort sowie nicht zuletzt die Zerstörung von Kulturgütern, wenn zum Beispiel Karawanen von Sandalenträgern durch Tempelanlagen trampeln oder Menschen in Minibussen auf "Safaris" wild lebenden Tieren nachstellen. Es ist extrem schweres Gepäck, das der internationale Tourismus mit sich schleppt, und wir alle haben lange unseren Teil mit in diesen Koffer gepackt. Der fällt uns, wenn sich nicht schnell eine Menge ändert, bald auf die Füße.

Welche Arten zu Reisen gibt es?

Die Reisebranche steht am Scheideweg. Zwar müssen wir unsere Reisegewohnheiten nicht auf Spaziergänge um den Block reduzieren, allerdings müssen wir uns bemühen, anders zu reisen. Sich als Weltbürger zu verstehen heißt eben nicht, dass einem die ganze Welt gehört und man sich wie und wo auch immer bedienen kann. Es bedeutet, dass man eine Verantwortung für diese Welt hat und sich in ihr so bewegt, dass unser Vergnügen nicht notwendig Schaden für andere mit sich bringt. Auch als ein Kriterium für Urlaubsqualität gewinnt dies mehr und mehr an Bedeutung, es wiegt oft schon schwerer als Urlaubsbräune oder ausufernde Badelandschaften. So gaben in der Umfrage einer Buchungsplattform etwa 81 Prozent der Reisewilligen an, sie würden im nächsten Jahr in einer nachhaltigen Unterkunft Urlaub machen wollen. Fast die Hälfte bemängelte allerdings, es gebe nicht genügend nachhaltige Angebote. Immerhin: Google hat festgestellt, dass sich die Anzahl der Suchen nach Öko-Hotels innerhalb des vergangenen Jahres verdoppelt habe. Deswegen führte die Suchmaschine ein Informations- und Kennzeichnungssystem ein, das es den Nutzern leichter machen soll, die Umwelteinf lüsse ihrer Reisen zu kontrollieren. Flüge werden nach ihren CO2-Emissionen eingestuft, und Unterkünfte, die von einer unabhängigen Organisation zertifiziert wurden, werden neben einem entsprechenden Icon auch mit einer Liste versehen, die genau aufführt, wie sehr sich eine Unterkunft um Nachhaltigkeit und Umwelt verdient macht. "Wir sehen deutlich, dass das Interesse an Nachhaltigkeit steigt", sagt Andrea Nicholas von der Zertifizierungsinstitution Green Tourism in Edinburgh, und: "Es entwickelt sich zu einem Must-have.“ Sich um die Nachhaltigkeit Gedanken zu machen heiße allerdings nicht, dass man auf seinen Urlaub komplett verzichten müsse, erklärt Justin Francis, Geschäftsführer von Responsible Travel, einem nachhaltigen britischen Reiseunternehmen. Aber was heißt es dann? Kurz und knapp ließe es sich etwa mit dem großen deutschen Schriftsteller Theodor Fontane auf den Punkt bringen: "Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen." Etwas weniger romantisierend ließe sich der nachhaltige, grüne Tourismus beschreiben als ein Sammelbegriff für mehr Verantwortungsbewusstsein unterwegs, für eine Art zu reisen, die nicht nur auf unsere Erholung bedacht ist und die nicht nur unser Wohl fördert, sondern auch das anderer und das der Umwelt. Anders ausgedrückt geht es darum, die negativen Folgen des Reisens zu minimieren, seien sie ökonomischer, ökologischer, kultureller oder sozialer Art. Das klingt dramatischer, als es ist, führt aber im besten Fall dazu, dass eine verantwortungsbewusste Reise einen Beitrag leistet, um natürliches, soziales und kulturelles Erbe zu bewahren und somit zu mehr Vielseitigkeit beizutragen. Was auch für uns Reisende eine bereichernde Erfahrung ist, weil es uns zu einem besseren Verständnis der Verhältnisse vor Ort und einer tieferen Verbindung mit diesen verhilft.

So geht nachhaltiges Reisen
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Hat sich deine Haltung geändert?

Dieses Verhalten äußert sich nicht unbedingt in dramatischen Gesten, sondern ist Gegenstand einiger grundlegender, aber auch vieler kleinerer Entscheidungen. Ihnen gegenüber steht nichts anderes als die zutiefst gewissenlose Luxusattitüde des Massentourismus: ins Flugzeug zu steigen und Tonnen von Kerosin zu verfeuern, um unter irgendeiner Palme im Sand zu hocken, solange das noch möglich ist. Wobei es so weder die Palme noch den Strand, an dem diese steht, noch lange geben wird – wenn es so weitergeht mit den allzu billigen Flugreisen um die ganze Welt, wird ein großer Teil dieser Welt bald nicht mehr existieren. Doch wir können, wenn sich ein Flug denn nicht vermeiden lässt, zumindest eine Airline mit möglichst neuen Maschinen wählen und die CO2-Emissionen unseres Trips über eine Organisation wie atmosfair kompensieren. Wir können eine kleine Unterkunft beziehen, ein Gästezimmer, ein B&B, und wenn es doch ein Hotel sein soll, dann eines von unabhängiger Seite entsprechend zertifiziertes. Auch können wir All-Inclusive-Resorts, die internationale Ketten in die erste Reihe hinter den Strand betoniert haben, künftig boykottieren, da dort der Umgang mit Ressourcen so wenig eine Rolle spielt wie der mit den Mitarbeitern. Und wir können eine eigene Wasserflasche mitnehmen, statt immer wieder Wegwerfflaschen aus Plastik zu kaufen. Klingt nach einer Petitesse? Mag schon sein. Doch sind an die 34 000 Plastikflaschen, die pro Minute im Mittelmeer landen, auch nur eine Kleinigkeit? Zudem können wir uns bemühen, individuell auf Entdeckungstouren zu gehen, statt in der geführten Reisegruppe Klischee-Erlebnisse zu konsumieren. Uns dafür entscheiden, uns unterwegs bei lokalen Anbietern zu versorgen, frische Waren auf einem Markt einzukaufen und abends dort essen zu gehen, wo es auch die Einheimischen hinzieht. Und wir können uns schon im Vorfeld über Gepflogenheiten und Sitten im Gastland oder in der Region, die wir bereisen, informieren, denn das hilft uns wie ein guter Gast rücksichts- und respektvoll aufzutreten – und nicht so wie die peinlichen Touristen-Trampel, die immer wieder so tun, als würde die ganze Welt ihnen allein gehören.

Was bringt die Zukunft?

Nachhaltiger Tourismus schließt also umweltverträgliches Reisen ein, ist als Begriff aber viel weiter zu fassen. Und so gelangt man zu den Fragen, die ganz am Anfang allen Reisens stehen: Warum verreisen wir überhaupt? Was versprechen wir uns vom Anderswo? Treiben uns Neugier und Fernweh in die Fremde? Soll es, wohin wir reisen, überhaupt fremd sein? Und ist es nicht der Reiz einer jeden Reise, sich selbst im Anderen anders zu erleben und vielleicht gar als ein Anderer zurückzukommen? Manchen ist das alles zu viel. Sie wollen in der Hauptsache einen Tapetenwechsel, eine Flucht aus dem Alltag. Gutes Wetter, Selfies, Urlaubsbräune. Tagsüber Pool und abends deutsches Bier. Aber den Horizont erweitern? Lieber zusehen, wie die Sonne am selbigen im Meer versinkt. Es bringt überhaupt nichts, dem Wunsch nach Erholung mit einer genussfeindlich moralisierenden Einstellung zu begegnen. Aber wenn wir alle uns über unseren Urlaub mehr Gedanken machen, steigen die Chancen erheblich, mit unseren Reisen nicht die größtmögliche Öko-Sünde zu begehen, sondern ein Tickchen mehr zur umwelt- und sozialgerechten Gestaltung von Tourismus beizutragen. Schönen Urlaub – für uns alle!

Die besten Tipps für grünes Reisen

So lassen sich Fernweh und Fairness ab sofort besser miteinander vereinbaren:

1. Urlaubsziel: Wähle es sorgsam aus. Es muss nicht weit weg gehen, um viel erleben zu können. Und wenn es weit weg gehen soll, gibt es Regionen und Länder, die besonders zu empfehlen sind. In Namibia etwa ist Naturschutz Bestandteil der Verfassung. Costa Rica macht von sich reden mit dem Ziel, das erste klimaneutrale Land der Welt werden zu wollen.

2. Reiseveranstalter: Informiere dich über Anbieter, die neben dem Klimaschutz auf ökonomische und soziale Verhältnisse vor Ort achten. Das Tour-CertSiegel ist dafür ein vertrauenswürdiger Anhaltspunkt, es bescheinigt Tourismus-Anbietern Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Handeln. Hier etwa findest du Tour-Cert-Anbieter.

3. Transportmittel: Sammle Infos, wie du am Reiseziel mobil bleibst. Fortbewegungsmittel der Zukunft sind etwa Walking Area BEVs: Elektrofahrzeuge für den Fußgängerbereich, die den Menschen vor allem in Innenstädten die letzten Meter bis an ihr Ziel erleichtern. Mehr dazu erfährst hier. Auch top: Apps für Shared Mobility, die weltweit die Verfügbarkeit von Fortbewegungsmitteln anzeigen.

4. Ökologischer Fußabdruck: Gleiche deine Umweltbelastungen aus. Nonprofit-Organisationen wie atmosfair, myclimate oder greenmiles helfen dabei. Indem du etwa einen finanziellen Beitrag zu Klimaschutzprojekten leistest, kannst du die CO2- Emissionen deines Fluges kompensieren. Ausgleichsprojekte, die nach Verified Carbon Standard (VCS), Gold Standard (GS) oder Clean Development Mechanism (CDM) der Vereinten Nationen zertifiziert wurden, gelten laut Experten als vertrauenswürdig.

5. Unterkunft: Wähle sie mit Bedacht. Braucht es etwa im Hotel Tag für Tag ein riesiges Büfett? Wird Marmelade portionsweise abgepackt angeboten? Mit jedem Stern mehr steigt der durchschnittliche CO2-Ausstoß pro Gast. Darf es also stattdessen ein Bio-Hotel sein? Entsprechende Unterkünfte findest du auf biohotels.de. Inhabergeführte Hotels, Herbergen und Pensionen sind denen großer Ketten vorzuziehen, denn so bleibt das Geld in der Region.

6. Gepäck: Nimm weniger mit. Packing Light hat sich schon zu einer besonderen Disziplin entwickelt. Ins Gewicht fällt das vor allem bei Flugreisen. Aber auch im Auto macht es einen Unterschied, ob sich das Gepäck auf ein paar wenige Teile beschränkt oder ob es den ganzen Kofferraum verstopft. Denk daran: Jedes zusätzliche Kilo kostet Kraftstoff.

7. Shopping: Kauf auch im Urlaub regional. Das ist umweltverträglicher und stärkt die kleinen lokalen Anbieter. Alteingesessene Läden zu besuchen oder über einen Markt zu bummeln ist unterhaltsamer als der Einkauf in einem großen Supermarkt oder der globalisierte Shopping-Terror in klimatisierten Malls.

8. Entfernung: Denk daran: Das Gute liegt meist nah. Es ist ein Mythos, dass der Reiz der Reise mit der Distanz zunimmt. Im Umkreis von 100 Kilometern um den Wohnort gibt’s oft mehr Lohnendes zu sehen und Neues zu entdecken, als dir die immergleichen Destinationen von Pauschalreisen bieten können.