Social Freezing
Wann es sich lohnt, Eizellen einfrieren zu lassen

Erst Karriere, dann Kind – das wünschen sich viele Frauen. Doch die biologische Uhr tickt. Lohnt es sich, Eizellen einfrieren zu lassen?
Wann es sich lohnt, Eizellen einfrieren zu lassen
Foto: Jacob Lund / Shutterstock.com

Nach Auslandsjahr, Studium und dem Erklimmen der ersten Stufen auf der Karriereleiter tickt bei vielen Frauen bereits die biologische Uhr: Mit 35 Jahren nimmt nicht nur die Fruchtbarkeit rapide ab, auch die biologische Qualität der Eizellen. Viele Frauen fürchten, dass eine Schwangerschaft dann auf sich warten lässt oder gar zum Problem wird. Ist "Social Freezing" eine Lösung? Der Reproduktionsmediziner Dr. Michael Amrani vom VivaNeo Kinderwunschzentrum Wiesbaden erklärt, was Sie zu der Methode wissen müssen:

Was ist Social Freezing?

"Social Freezing ist eine Form der Kryokonservierung“, erklärt Dr. Amrani, "Hierbei werden Eizellen entnommen und eingefroren mit dem Ziel, in einer späteren Lebensphase eine künstliche Befruchtung durchzuführen – falls es zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer natürlichen Empfängnis kommt.“

Ei- und Samenzellen einzufrieren ist keine neue Methode. Vor allem bei jungen Krebspatienten wird das Verfahren schon lange angewandt, um ihnen nach einer Chemo- oder Strahlentherapie noch eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Beim Social Freezing wird diese Methode nicht aufgrund medizinischer Indikation angewandt, sondern um dem natürlichen Alterungsprozessen ein Schnippchen zu schlagen. Mit Social Freezing können Frauen eine Fruchtbarkeitsreserve anlegen, um sich den Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt zu erfüllen, wenn die natürliche Fruchtbarkeit nachlässt.

Was genau ist Kryokonservierung, wie funktioniert es?

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Lagertank für tiefgefrorene Eizellen

"Kryokonservierung bezeichnet ganz generell die Lagerung von Zellen und Geweben bei Temperaturen von minus 196 Grad Celsius“, sagt der Reproduktionsmediziner, "In der Kinderwunschmedizin wird das Verfahren eingesetzt, um Samenzellen, Hodengewebe, befruchtete und unbefruchtete Eizellen oder Eierstockgewebe zu konservieren. Nach der Entnahme werden die Gewebe beziehungsweise Zellen in der Regel mit einem speziellen Nährmedium zusammengebracht. Anschließend lassen sich die Zellen zügig in flüssigem Stickstoff auf -196 Grad Celsius herunterkühlen. Dabei geht die in den Zellen enthaltene Flüssigkeit mit dem Nährmedium in einen glasartigen Zustand über, der gegen schädliche Eiskristallbildung gefeit ist.“

Wie verläuft die Eizellengewinnung beim Social Freezing?

Um die Eizellen zu gewinnen, müssen sich Frauen einer Hormonbehandlung unterziehen. Denn damit sich die Prozedur lohnt, sollen gleich mehrere Eizellen, bestenfalls etwa 30, gleichzeitig heranreifen. Zum optimalen Zeitpunkt werden die Eizellen dann unter Narkose entnommen. Um mehrere Eizellen heranreifen zu lassen, müssen sich die Frauen regelmäßig Hormonspritzen am Bauch oder Oberschenkel in das Unterhautfettgewebe setzen.

Welche Nebenwirkungen/Risiken gibt es?

"Die Hormonstimulation kann durchaus Nebenwirkungen wie Überstimulation und Schmerzen hervorrufen – das ist aber bei jeder Patientin individuell unterschiedlich“, sagt Amrani. Ganz selten kann es zu einem lebensbedrohlichen Überstimulationssyndrom (OHSS) kommen.
"Die Risiken der Entnahme sind überschaubar, da es sich um einen relativ kleinen Eingriff handelt, den wir üblicherweise in Kurznarkose vornehmen“, sagt Dr. Amrani.

Wieviele Eizellen kann man einfrieren?

Die Anzahl ist nicht begrenzt. Je mehr Eizellen eingefroren werden, desto höher sind die Erfolgschancen, bei einer künftigen künstlichen Befruchtung eine Schwangerschaft zu erzielen. Dr. Amrani: "Das liegt daran, dass meist nur ein Teil der gereiften Zellen genetisch einwandfrei ist und somit zur Schwangerschaft führen kann. Der limitierende Faktor ist also nicht die Frage, wie viele Eizellen man einfrieren kann, sondern wie viele Eizellen der Frau entnommen werden können.“ Für die Dauer der Kryokonservierung einer Eizelle besteht keine zeitliche Begrenzung.

In welchem Alter sollten die Eizellen entnommen werden?

"Generell nehmen die Qualität und der verbleibende Rest der Eizellen ab etwa dem dreißigsten Lebensjahr kontinuierlich ab. Deswegen ist es sinnvoll, Social Freezing so früh wie möglich zu nutzen“, erklärt Dr. Amrani.

Bis zu welchem Alter kann ich meine Eizellen einfrieren lassen?

"Generell werden mit zunehmenden Alter mehr Eizellen benötigt, um eine Schwangerschaft und Lebendgeburt zu erzielen“, sagt der Facharzt für Frauenheilkund, "Sollte die Eizellenreserve altersbedingt zurückgehen, ist das Social Freezing zu überdenken, da der Aufwand möglicherweise nicht mehr in Relation zu den Erfolgschancen steht.“

Bis zu welchem Alter können den Frauen die Eizellen wieder eingesetzt werden?

"Entnommene Eizellen – ob aus Social Freezing oder direkt im Rahmen einer Behandlung – werden in einer sogenannten In-Vitro-Fertilisation, kurz IVF, in der Petrischale befruchtet“, erklärt Dr. Amrani, "Wenn sich ein daraus entstandener Embryo erfolgreich in der Gebärmutter einnistet, können auch relativ alte Frauen ein Kind erfolgreich austragen.“ Mit zunehmendem Alter steigen jedoch die Risiken von Schwangerschaftskomplikationen, deswegen sollte man seine biologisch-medizinische Grenzen mit dem Reproduktionsmediziner seines Vertrauens realistisch besprechen und einschätzen lassen.

Wie hoch ist die Erfolgsrate bei Social Freezing?

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3d mikroskopische Vergrößerung von vier Eizellen in einer Petrischale während einer künstlichen Befruchtung

Ob eine IVF-Behandlung mit eingefrorenen oder frischen Eizellen durchgeführt wird, spielt für die Erfolgsaussichten keine Rolle, so der Reproduktions-Experte: "Entscheidend sind in erster Linie Qualität und Menge der vorhandenen Eizellen. In unserem Kinderwunschzentrum VivaNeo liegt die Schwangerschaftsrate nach einer IVF-Behandlungen bei zirka 35 Prozent.“

Sind die Chancen auf eine Schwangerschaft geringer als bei einer natürlichen Empfängnis?

"Die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft sind bei In-Vitro-Fertilisationen etwa genauso hoch wie bei einer natürlichen Empfängnis“, sagt Amrani, "Entscheidend sind die biologischen Voraussetzungen und medizinischen Befunde der Frau. Bei der Kryokonservierung spielen vor allem die Anzahl eingefrorener Eizellen und das Alter der Frau zum Zeitpunkt des Einfrierens eine wesentliche Rolle. Die Kryotechnik selbst ist mittlerweile so ausgereift, dass hiervon eher keine Einschränkungen zu erwarten sind.“

Was kostet Social Freezing?

Ein Zyklus mit Medikamenten, Untersuchungen, Eingriffen und Kryokonservierungs-Maßnahmen könnte zwischen 4.000 Euro und 5.000 Euro kosten.

Die gesetzlichen Krankenkassen unterstützen in Deutschland künstliche Befruchtungen bei verheirateten Paaren nur dann, wenn die Frau nicht älter als 40 Jahre und der Mann nicht älter als 50 Jahre ist. Diese Kostenübernahme gilt nicht für die Maßnahmen der Kryokonservierung. Hier besteht in der Regel keine Unterstützung durch die gesetzlichen Krankenkassen und nur manchmal durch die privaten Krankenkassen.

Social Freezing pro und contra

Spätestens seit einige renommierte amerikanische Unternehmen jungen Führungskräften eine Kostenübernahme für das Social Freezing anbieten, wird das Thema auch in Deutschland heiß diskutiert. Denn ob aufgrund des beruflichen Werdegangs oder weil man noch nicht den richtigen Partner für die Familiengründung gefunden hat, die Möglichkeiten des Social Freezings sind auch in Deutschland für viele Frauen attraktiv: Wer über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, kann sein Zeitfenster für eine Schwangerschaft erheblich vergrößern und so mit dem Fortpflanzungszeitrahmen der Männer gleichziehen.

Doch sollten Sie über das Machbare hinaus nicht vergessen, dass Social Freezing keine Garantie für eine späte Schwangerschaft ist. Bedenken Sie auch, dass Schwangerschaft und auch das Großziehen von Kindern eine enorme körperliche Belastung bedeutet, die schwerer wiegt, je älter man ist. Vor einer Entscheidung für ein Social Freezing sollte man sich zudem Gedanken machen, was mit seinen nicht genutzten, kryokonservierten Eizellen passieren soll. Eizellen-Spenden sind in Deutschland zur Zeit gesetzlich nicht erlaubt.

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 20.09.2023