Handstand lernen: So hat unsere Kollegin Martina es geschafft

Erfahrungsbericht: Handstand lernen
"So habe ich tatsächlich mit 45 den Handstand gelernt"

Veröffentlicht am 23.12.2024
Redakteurin Martina macht einen Handstand
Foto: Christine Lipski

In Martinas Alltag stehen die Dinge oft Kopf. Darum möchte sie gern den Handstand können, denn wenn sie selbst auch Kopf steht, "passt ja wieder alles." Der Handstand lässt dich aber die Dinge nicht nur aus einem komplett anderen Blickwinkel betrachten, er bringt dich auch körperlich auf ein ganz anderes Level. Denn er erfordert Balance, Kraft, Rumpfstabilität und ja, auch ein bisschen Mut. "Der Handstand ist eine effektive Turnübung, die nicht nur den Körper, sondern auch den Kopf herausfordert", betont Martinas Coach Adi Al-Hamawi. Auch nicht zu leugnen: Der Handstand verlangt nach einem gewissen Fitness-Level.

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Für Ungeübte mag es geradezu unmöglich erscheinen, einfach so den Handstand zu erlernen – insbesondere, wenn du alleine trainierst und gar nicht weißt, wie du loslegen sollst. Genau so empfand Martina auch. Deshalb hat sie den Trainer ihres Vertrauens, den Sportwissenschaftler und Personaltrainer Adi um Rat und Unterstützung gebeten. Seinen Erste-Hilfe-Ratschlag alias den entsprechenden Trainingsplan findest du hier:

Was bringt der Handstand?

Der Handstand spielt bekanntermaßen im Turnsport eine zentrale Rolle. Doch auch Akrobaten und Tänzerinnen kommen ohne ihn nicht weit. Und nicht nur der Körper profitiert, denn der Handstand ist nicht nur ein cooler Move, die Umkehrhaltung wirkt sich auch positiv auf Körper und Geist aus:

1. Ein Handstand trainiert die Körperspannung

Um kopfüber die Balance zu halten, muss dein Körper eine feste und kontrollierte Position einnehmen. Du lernst, deine Muskulatur bewusst anzuspannen und zu stabilisieren – ein effektives Ganzkörpertraining, das sowohl Kraft als auch Koordination fördert.

2. Ein Handstand fördert die Gehirnleistung

In der ungewohnten Kopfüber-Position fordert der Handstand deine volle Aufmerksamkeit. Dein Gehirn arbeitet auf Hochtouren, um deinen Körper zu stabilisieren und das Gleichgewicht zu halten. Dieser Fokus sorgt dafür, dass du komplett im Moment bist und lässt keinen Raum für Ablenkungen – eine großartige Übung für mentale Klarheit und Achtsamkeit. Übrigens: Eine Studie aus Indien zeigt, dass Kopfüberhaltungen - wie sie beim Handstand idealerweise vorliegt - die mentale Leistungsfähigkeit steigert. Wenn dir also mal die passende Idee fehlt, stell dich einfach auf den Kopf!

3. Handstand pusht dein Selbstvertrauen

Der Handstand ist mehr als nur eine akrobatische Übung – er fordert dich heraus, aus deiner gewohnten Komfortzone auszubrechen. Die meisten von uns fühlen sich sicher, wenn sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Doch um einen Handstand zu lernen, musst du genau das loslassen und dich auf etwas völlig Neues einlassen. Dieser Perspektivwechsel stärkt nicht nur dein Selbstbewusstsein, sondern hilft dir auch, Ängste zu überwinden und mutiger zu werden. Es ist ein kraftvolles Gefühl, die Welt buchstäblich auf den Kopf zu stellen! Zudem zeigt eine Studie aus China, dass Menschen, die regelmäßig über Jahre einen Handstand ausführen, deutlich jünger wirken, als ihre Altersgenossen.

Handstand lernen
Undrey / Shutterstock.com

Welche Muskeln werden beim Handstand trainiert?

Für die Umkehrhaltung brauchst du nicht nur Kraft in den Armen und im Oberkörper, sondern vor allem Stabilität in der Bauchmuskulatur. "Auch die Rückenmuskeln spielen eine größere Rolle, als die meisten denken", erklärt Coach Adi. Beim Handstand arbeitest du mit einer isometrischen Muskelkontraktion. Das bedeutet, dass sich die Muskellänge nicht verändert, wenn du die Muskeln anspannst.

Viel eher entscheidend als Muskelkraft sind für den Handstand jedoch Fingerspitzengefühl und ein guter Gleichgewichtssinn: "Es gibt 2 entscheidende Faktoren beim Handstand: Die Kontrolle über die Fingerspitzen und die Festigkeit des Körpers", sagt der Experte. Körperspannung gibt Stabilität, über die Fingerspitzen hältst du das Gleichgewicht. Zudem braucht deine Propriozeption, also wie dein Körper seine Lage im Raum einschätzt, ein Update. Du willst mehr? Hier erklärt Mady Morrison, wie du in 10 einfachen Schritten in den Kopfstand kommst.

Die besten Vorübungen für den Handstand

Wer Yoga macht, hört in den Stunden häufig: Schultern lockerlassen. Im Handstand ist das Gegenteil der Fall. "Beim Handstand-Üben solltest du auf eine Außenrotation in den Armen achten, sodass die Armbeugen in dieselbe Richtung zeigen wie die Fingerspitzen. Die Schultern ziehst du zu den Ohren, sodass der obere Rücken stabil wird, strecke aber gleichzeitig die Brust raus", erklärt Adi. Diese Haltung kannst du üben, bevor du dich mit den folgenden Vorübungen an den Handstand herantastest:

1. 90-Grad-Winkel an der Wand

Redakteurin Martina macht eine Vorübung für den Handstand
privat

Gehe vor einer Wand in den Vierfüßlerstand, Füße zur Wand. Stemme nun die Füße gegen die Wand und wandere damit so weit nach oben, bis deine Füße mit gestreckten Beinen auf Hüfthöhe stehen. Komme mit den Händen so weit in Richtung Wand, bis die Handgelenke unter den Schultern stehen. Halte so lange wie möglich und wiederhole den Ablauf 3- bis 5-mal.

2. Gelaufener Handstand an der Wand

Übe den Handstand am besten immer in Socken oder barfuß. Martinas Wand erinnert bis heute daran, dass ihre ersten Versuche in Trainingsschuhen stattfanden, denn die hinterlassen leider Spuren ... Noch nicht genug? Diese 5 Plank-Varianten sorgen für eine starke Mitte.

3. Aufschwung

Redakteurin Martina in der Ausgangsstellung zum Aufschwung
privat

a) Stütze die Hände vor einer Wand auf dem Boden auf. Strecke dein Spielbein (das, mit dem du hinter einen Ball trittst) nach hinten aus. Der andere Fuß bleibt am Boden.

Redakteurin Martina zeigt die zweite Position der Übung Aufschwung
privat

b) Versuche nun, dich mit dem Schwungbein nach oben zu bewegen. Das wird dir nach und nach immer besser gelingen. Ziehe das Standbein nach, sobald dein Schwungbein kurz vor der Wand ist. Gib dabei die ganze Zeit festen Druck auf die Hände.

Wie schaffe ich es, das Gleichgewicht beim Handstand zu halten?

Der Schlüssel zu einem stabilen Handstand liegt in der richtigen Ausrichtung deines Körpers. Es kommt darauf an, dein Becken exakt über die Schultern zu bringen und diese Position zu kontrollieren. Wenn du das Gleichgewicht in dieser Linie findest, bleibt dein Handstand stabil und sicher – der Rest ist Übung und Geduld.

Kann ich den Handstand auch an der Wand üben?

Natürlich! Auch Martina hat ihre ersten Handstandversuche an einer Wand gemacht – und den zweiten, dritten und 37. ebenfalls. Die Wand gibt dir die nötige Sicherheit, damit du nicht nach hinten umfällst. Für den freien Aufschwung wagt sich Martina hingegen nur dann, wenn jemand dabei ist, wie ihr Coach oder ihr Mann. Schließlich ist ein Handstand nicht nur eine körperliche Übung, sondern auch eine mentale Herausforderung.

Wie schnell lernt man einen Handstand?

Das hängt ganz von deiner Bewegungserfahrung ab. Wer als Kind geturnt hat, wird oft schneller Fortschritte machen. Auch Menschen, die generell gut darin sind, neue Bewegungen zu lernen, haben einen Vorteil. Bei Sport-Redakteurin Martina trifft allerdings nur einer dieser beiden Punkte zu – und trotzdem hat sie es geschafft. Mit Geduld und Übung ist ein Handstand also für fast jeden machbar! Ihre Geschichte, wie sie nicht nur mit beiden Beinen, sondern auch mit beiden Händen im Leben steht, liest du hier:

Meine Ausgangslage: Auf zwei Händen kann ich (noch) nicht stehen

Jedes Mal, wenn ich durch den Münchner Olympiapark spaziere, laufe oder zum Schwimmen gehe, komme ich an ihr vorbei: Die Olympia Triumphans. Das ist eine riesige Plastik aus Bronze, die einen Handstand auf einem Ball ausführt. Sie wurde im Jahr 1972 aufgestellt, als die Olympischen Spiele in München stattfanden. Selbst ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren, trotzdem beeindruckt mich diese Dame jedes Mal nachhaltig.

So gerne hätte ich ein Foto von ihr, während ich in knappem Abstand vor ihr die gleiche Pose einnehme ... Man muss ja noch Ziele haben, aber meine Voraussetzungen sind jetzt so mittelprächtig: Bislang gehörte ich nie einem Turnverein an und mit immerhin 45 Jahren lassen sich viele andere Ziele vermutlich leichter erreichen. Eine aufgeräumte Wohnung zum Beispiel oder ähnlicher Unsinn.

Mein Start: Erst aufwärmen, dann aufschwingen

Mein erstes Treffen mit Coach Adi findet in seinem Gym statt. Hier ist teilweise Parkett, teilweise Kunstrasen verlegt. Warum ich das erwähne? Weil das für meine Hände einen entscheidenden Unterschied macht!

Aber bevor ich den Boden unter den Füßen verliere, ist erstmal ein Warm-up angesagt. "Bitte starte nie in den Handstand, ohne deine Handgelenke und Schultern aufgewärmt zu haben", betont der Personal Trainer während er mir die entsprechenden Moves wie Schulterkreisen oder eine Möglichkeit zur Handgelenks-Mobi vormacht. Ehrfürchtig nicke ich, schließlich will ich alles tun, was für den Handstand notwendig ist. Später werde ich feststellen, wie Recht Adi hat, aber gut.

Wir gehen zu einer Wand und ich lerne drei wichtige Vorübungen für den Main-Akt: Im rechten Winkel gegen die Wand stehen, mit den Füßen an der Wand nach oben laufen und den Aufschwung. Immer und immer wieder. Allerdings traue ich mich bis zum Schluss dieser Stunde nicht, ohne Adis Hilfe in den Aufschwung zu kommen. Jedes Mal muss er meinem linken Bein den entscheidenden Schubs geben. Aber: immerhin stehe ich dann und breche nicht sofort zusammen. Das macht mich schon stolz.

Personal Trainer Adi Al-Hamawi aus München im Portrait
privat

Woche 1 bis 2: Am Anfang habe ich viele Baustellen

Brav halte ich mich an den von Adi entwickelten Trainingsplan, der mich in den Handstand bringen soll. Technik-Training und ein Mobility-Teil gehören dazu, erwähnte ich schon, dass ich im rechten Winkel an der Wand meine Beine nicht ganz durchstrecken kann? Ja, es gibt mehr Baustellen als gedacht.

Mit dem Aufschwung-Üben bin ich leider nicht ganz so vertraut wie mit Übungen wie Schulterdrücken oder Wandsitzen. Ich komme alleine einfach verdammt nochmal nicht mit den Beinen hoch. Sobald mein Mann neben mir steht - easy. So viel zum Thema Unabhängigkeit der Frau im 21. Jahrhundert.

Woche 3 bis 4: Der Aufschwung kommt

Tadaa! Es klappt! Ich schaffe den Aufschwung ohne Hilfe. Es muss auch niemand mehr in der Nähe sein. Zumindest wenn das Setting so ist, wie ich es gewohnt bin: Trainingsmatte in bekanntem Abstand zur Wand, keine Kinder im Hintergrund und genau in der Mitte zwischen Fitness-Spiegel und Kommode. Sobald auch nur eine kleine Änderung eintritt, wie zum Beispiel eintreffendes Sonnenlicht ist es vorbei, dann komme ich nicht hoch. Dieser Kopf ist wirklich anstrengend ...

Woche 5 bis 6: Erfolg per Hausbesuch

Wow, das ist das erste Mal für mich, dass ein Personal Coach zu mir nach Hause kommt. Das ist ziemlich gut für meinen Kopf, denn wir üben den freien Aufschwung dann in meiner Umgebung und dann ich besser alleine weitermachen. "Ich strecke jetzt meinen Arm aus und du kommst mit den Waden dagegen. Tut einfach so, als wenn ich die Wand wäre", ermuntert mich der Sportwissenschaftler. Jupp, auch das kostet erstmal Überwindung. Es funktioniert, wenn Adi vor und hinter meine Beine seinen Arm ausstreckt.

Mit dieser neuen Übung gehe ich in den Urlaub. "Versuche es mal im Sand. Der Untergrund wird ungewohnt sein, aber hier musst du weniger Angst haben, umzukippen." Gesagt, getan, am Strand von Alcúdia probt eine Verrückte immer wieder den Aufstand – ich. Mein Mann leistete unermüdlich Hilfestellung. Auch in unserer Finka, wobei ich zugeben muss, dass die Kombi aus Hitze und Aperol Spritz für ein Handstand-Vorhaben wenig förderlich ist ...

Woche 7 bis 8: Endspurt mit Hindernissen

Wieder daheim, besuche ich meinen Coach nochmal in seinem Studio. Ich zeige ihm meinen – im wahrsten Sinne des Wortes – aktuellen Stand. "Du hast alle körperlichen Vorraussetzungen, du hast die Technik drauf, also höre jetzt auf zu denken und fühle mehr", ermahnt mich Adi.

Ich weiß schon, was er meint: Wie das Gewicht auf jedem einzelnen Finger verteilt ist, wie die Handflächen aufliegen, all das spüre ich natürlich und das hat Einfluss darauf, wie gut ich dastehe. Das habe ich vor der Wand ja gefühlte fünfhundert Mal geübt. Übrigens habe ich es dort locker drauf, die Fersen von der Wand zu lösen und einige Sekunden dazustehen. Aber eben nur vor der Wand. Bis zum Foto-Shooting muss  ich das noch frei hinkriegen.

Aus Zeitgründen, weil ich einfach abends vorm Schlafengehen oder als Mini-Pause während der Arbeit üben will, teste ich den freien Aufschwung immer häufiger ohne mich aufzuwärmen. Das bekomme ich mit schmerzenden Handgelenken zu spüren. Wer dann noch viel an einer Tastatur arbeitet, so wie ich eben, bereut diese offensichtliche Ersparnis schnell. Ok, Adi, Punkt für dich.

Vorher-Nachher

Vergleiche ich meine Körperspannung heute mit der von vor 2 Monaten, stehe ich deutlich besser da. Auch in puncto Schultermuskulatur ist einiges passiert. "Vorher warst du ein Lauch", sagt mir Adi schmunzelnd zum Abschied. Ach, danke.

Im Ernst: Auch wenn ich jetzt nicht stundenlang frei im Handstand verweilen kann, pusht es jedes Mal mein Selbstbewusstsein, eine andere Perspektive einnehmen zu können. Und wenn die vor einer Wand stattfindet, ist es auch egal. Davon gibt es schließlich genug. Irgendwann schaffe ich mein Foto mit meinem Turn-Crush Olympia schon noch. Bis dahin freue ich mich, mit 45 Jahren endlich eine Bewegung draufzuhaben, die viele schon als Kind konnten.

Fazit: Der Handstand bringt den Kopf nach unten, aber Fitness und Koordination nach oben

Den Handstand zu lernen braucht Zeit voller Übungen und Geduld. Doch denke immer daran: Es ist ein Prozess. Ein Prozess, der sowohl den Körper als auch den Geist stärkt.

Erwähnte Quellen

Haonan Liu; Qian Xu; Xin Xiang und andere: Case Report: Passive Handstand Promotes Cerebrovascular Elasticity Training and Helps Delay the Signs of Aging: A 40-Year Follow-Up Investigation; 10.3389/fmed.2022.752076